Verantwortung für die Schöpfung
AG alternativ handeln
Torgau (dw) - "Meine Arbeit hier sehe ich als Chance, als Christin auf andere Menschen zuzugehen", sagt Antonie Brückner. Sie gehört zum Torgauer Verein "AG alternativ handeln", der unter anderem auch den Weltladen in der Elbestadt betreibt. "Wir können hier zeigen, dass Kirche noch aktiv ist, dass sie eine moderne Sprache sprechen und politisch situationsbezogen handeln kann", ist die katholische Christin überzeugt.
Der Verein "alternativ handeln" ist 1990 von Frauen aus der Region Torgau und Falkenberg gegründet worden, die sich für die Situation von Frauen in der weiten Welt interessiert haben. Sie gründeten einen kleinen Laden mit fair gehandelten Produkten aus aller Welt und begannen, in Schulen, Kindergärten und Gemeinden Bildungsveranstaltungen über Themen wie Ökologie und Entwicklung, Schuldenerlass für Länder der Dritten Welt, das Leben unterschiedlicher Kulturen in Deutschland und weltweit oder Kinderarbeit anzubieten. Bei Projekttagen und Seminaren versuchen sie, die Zusammenhänge zwischen globalen Entwicklungen und eigenem Handeln deutlich zu machen.
Eine zentrale Rolle in der Vereinsarbeit spielt seit 1994, als Antonie Brückner und ihr Mann Jürgen dem Verein beitraten, ein Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekt im westafrikanischen Land Togo. Jürgen Brückner hatte vor Jahren in der Katholischen Studentengemeinde Dresden den togolesischen Gaststudenten Jaques Aharé M'bata kennengelernt. Ihn unterstützt der Torgauer Verein seit sechs Jahren beim Bau und Ausbau einer Krankenstation in der Bergregion im Norden des Landes, die unterdessen ins dortige staatliche Gesundheitssystem aufgenommen worden ist. Spenden und Gewinne des Weltladens fließen vor allem in dieses Projekt. Am 6. März wird Jürgen Brückner nach Togo reisen und an der Einweihung eines neuen Labors und einer Solaranlage teilnehmen.
Antonie Brückner und ihre beiden Mitarbeiterinnen, die sich in die Weltladen-, Bildungs- und Projektarbeit hineinteilen, brauchen für ihren Job eine Menge Fingerspitzengefühl. Oft erleben sie, dass ihre Zuhörer schroff ablehnend reagieren und sich nach den Umbrüchen der Wende und den rasanten Entwicklungen, die durch Schlagworte wie "Medienzeitalter" und "Globalisierung" markiert werden, scheuen, über weitere Veränderungen in ihrem Leben nachzudenken. "Der Gedanke, dass an vielen Produkten, die wir konsumieren, Blut klebt, ist nun einmal erschreckend", nennt Frau Brückner als Beispiel.
Wenn es dann aber doch geschieht, dass einzelne Teilnehmer ihrer Projekttage oder Seminare nachdenklich werden, wenn sie entdecken, dass die Beschäftigung und Begegnung mit Menschen anderer Kulturen für sie eine große Bereicherung sein kann, ist die Freude für die Mitarbeiterinnen von "Alternativ handeln" umso größer. Dass eine arbeitslose Frau etwa kürzlich 100 Mark spendete, hat sie tief gerührt. Ein sportbegeisterter Kunde des Weltladens hat am zweiten Weihnachtstag einen Benefizlauf entlang der Elbe auf die Beine gestellt. Trotz Sturmes und heftiger Regengüsse nahmen 30 Läufer teil und ließen sich die insgesamt 60 Kilometer lange Strecke mit 1316 Mark sponsern. Manchmal leihen sich Seminarteilnehmer Infomaterial aus, um sich näher mit einzelnen Themen zu befassen.
Kinder und Jugendliche erleben die Vereinsmitglieder immer wieder als besonders offen gegenüber neuen Erkenntnissen. Die Kinder sind verblüfft, wenn sie beispielsweise feststellen, dass sie und ihre Eltern ganz selbstverständlich mit Waren umgehen, die nicht aus Deutschland stammen, dass sie aber die Menschen aus den Herkunftsländern dieser Produkte oftmals mit großen Vorbehalten betrachten. Sie sind neugierig auf "fremde" Musikinstrumente, die es im Weltladen zu kaufen gibt und interessieren sich für die Lebenserfahrungen der Mitarbeiterin Dawn Walther, einer indianischstämmigen Amerikanerin, deren Großvater noch in einem Irokesen-Reservat gelebt hat.
Antonie Brückner sieht in den Kindern eine wichtige Motivation für ihre Arbeit: "Meine Generation hat die Eltern und Großeltern nach den Naziverbrechen gefragt, unsere Kinder werden uns eines Tages fragen, was wir gegen Umweltzerstörung, Kriege und Ungerechtigkeiten unternommen haben", glaubt sie.
Für die Zukunft wünschen sich Antonie Brückner und ihre Mitarbeiterinnen, dass noch mehr Christen die Eine-Welt-Vereine in Torgau und anderswo als Chance entdecken, sich intensiver ihren Nächsten zu widmen und Verantwortung für die Schöpfung wahrzunehmen. Sie fänden es darüber hinaus sinnvoll, wenn kirchliche Bildungsträger die dort vorhandenen Kapazitäten stärker nutzen würden. Unter anderem könnten sie sich eine vermehrte Zusammenarbeit mit Religionslehrern vorstellen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.02.2000