Wege aus der Dunkelheit

Ein Gefangener der JVA zeigte mir eine Spruchkarte, die er von einem Freund erhalten hatte: "Es gibt zwei Wege aus der Dunkelheit: Entweder du machst Licht, dort, wo du bist, oder du gehst in die Sonne." - "Das Wort passt genau auf meine Situation", sagte der Gefangene. "Ich sitze im Dunklen, sitze hier fest und kann nicht an die Sonne gehen. Also mache ich selbst Licht."

In den ersten Wochen seiner Haftzeit hatte er nur seine Lage bedauert und über sein Unglück gejammert, sozusagen über die Dunkelheit geklagt. Er war passiv und vergeudete die Zeit mit Nichtstun und seichten Zerstreuungen. Dann aber machte er Licht: Er stellte einen festen Tagesplan auf, besorgte sich ernsthafte Bücher, um sich auf vielen Gebieten weiterzubilden, er führte eine umfangreiche Korrespondenz, las jeden Tag in der Bibel und meditierte und betete, überdachte sein Leben, half den Mitgefangenen auf seiner Station, vor allen den Ausländern, beim Verfassen von Anträgen und anderen Schreiben, engagierte sich in der Gruppenarbeit ... So war die lange Haftzeit nicht mehr sinnlos vertan.

Und die schönste Erfahrung, die er machte: "Ich bin an der Sonne." An seiner äußeren Situation hatte sich nichts geändert, er blieb weiter eingesperrt. Aber im Glauben erfuhr er: Die helle und wärmende Sonne der Liebe Gottes beschien ihn. Er hatte die Erfahrung der Gnade gemacht und stand im Licht des Geistes Gottes, das leuchtet und wärmt und tröstet. Mir scheint, was dieser Gefangene erfahren hat, ist beispielhaft für uns alle: Die eigene Anstrengung, unser Leben zu ordnen, unser eigenes Lichtmachen, wird umfangen vom Licht Christi, das keinen Abend kennt. So werden für den Glaubenden die zwei Wege aus der Dunkelheit zu einem.

Pater Damian Meyer