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Aus der Region

Polen feiert Millennium

Unabhängigkeit

Wenn am 12. März die Staatspräsidenten europäischer Länder im polnischen Gnesen zusammenkommen, werden sie in feierlichem Rahmen die Hoffnung auf eine friedliche gemeinsame Zukunft in Europa beschwören. Der Anlass: Polen feiert ein Millennium. Tausend Jahre ist es her, seit Kaiser Otto III. mit seinem Besuch in Gnesen die kirchliche und staatliche Unabhängigkeit Polens besiegelte. Damals entstand auf der Landkarte im Osten des ottonischen Reiches ein neues Stück Europa. Die wechselvolle Geschichte Polens, auf gedeihliche, aber auch verhängnisvolle Weise verknüpft mit der des deutschen Nachbarn im Westen, begann.

Es war in grauer Vorzeit, als Lech, Stammesfürst der Polanen, auf einem von sieben Hügeln den Horst eines weißen Adlers fand. Von dort aus, so berichtet die Legende, wollte er künftig herrschen. Gnesen, die erste Hauptstadt Polens, war gegründet.

Tatsächlich fanden Archäologen nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Lech-Hügel von Gnesen - polnisch: Gniezno - Reste einer wehrhaften Siedlung aus dem achten Jahrhundert. Im Jahre 966 empfing hier der Piasten-Herzog Mieszko die Taufe. 34 Jahre später wurde das Jahrtausend rund, und das polnische Gnesen empfing einen deutschen Kaiser: Der universal denkende Otto III. war gekommen, um am Grab des bömischen Heiligen und Märtyrers Adalbert - in Polnisch: Wojciech - zu beten.

Bis heute erzählt das weltberühmte romanische Bronzetor des Gnesener Domes in 18 Szenen das Leben des Missionars, der die Pruzzen taufte und 997 von ihnen erschlagen worden war. Ottos Gastgeber, Herzog Boleslaw der Tapfere, hatte den Leichnam zurückgekauft und in Gnesen bestattet. In dieser Zeit schrieben die Herrscher Reliquien besondere Kräfte zu. Wer sie besaß, hatte weltliche und kirchliche Macht. Im elften Jahrhundert war Gnesen als Grabstätte von Bischof Adalbert bereits ein Wallfahrtsort. Rosenblüten und wunderbare Düfte, so hieß es, seien aus dem Grab gestiegen. Erste Wunder auf Adalberts Fürsprache geschahen. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde er heilig gesprochen.

Herzog Boleslaw habe Kaiser Otto mit großem Gepränge empfangen, berichten die Chronisten. Dieser war nämlich nicht nur als frommer Pilger gekommen. Sein Besuch besiegelte die politische und kirchliche Selbstständigkeit vom Heiligen Römischen Reich: Polen war geboren. Die Stärke Polens - so das Kalkül des Kaisers - werde seiner eigenen Herrschaft mehr nützen als schaden.

Fortan sollten im Gnesener Dom Könige gekrönt werden. Als erster empfing Boleslaw der Tapfere hier im Jahre 1025 die polnische Krone. Gnesen war Metropolitansitz geworden, dem die Bistümer Krakau, Kolberg und Breslau unterstanden.

Das junge Polen hatte sich Rom anvertraut und damit einen entscheidenden Schritt in die Unabhängigkeit von westlicher Vorherrschaft gemacht, vom Anspruch des Missionsbistums Magdeburg und dessen Drang nach Osten. Nicht nur sein Grenznachbar Bischof Thietmar von Merseburg kritisierte Otto III. heftig, viele national gesinnte Deutsche verurteilten im Laufe der Geschichte die Politik des mittelalterlichen Kaisers als Schwäche.

Die Begegnung zwischen dem deutschen Kaiser und dem Polen-Herzog hätte der Beginn einer wunderbaren Nachbarschaft werden können. Doch es sollte ganz anders kommen: Polen erlitt ein Jahrtausend lang des Schicksal eines Pufferstaates und wurde allzu oft zum Spielball der Großmächte in Ost und West. Bald nach Ottos Besuch in Gnesen zerfiel Polen in verschiedene Herrschaftsgebiete, die Zentralgewalt war schwach. Nie mehr hat es die Größe erreicht wie zur Zeit Boleslaw des Tapferen; einen Abglanz vermittelt die spätmittelalterliche Zeit der in Krakau residierenden Jagiellonen-Könige. Schließlich wurde das Land mehrmals geteilt und sollte nach dem Willen Hitlers sogar ganz von der Landkarte verschwinden, nachdem es nach dem Ersten Weltkrieg wieder erstanden war.

Nach der größten Katastrophe seiner Geschichte, dem Überfall Hitler-Deutschlands, der Volk und Land tiefe Wunden geschlagen hatte, wurden die polnischen Grenzen nach Westen verschoben, die ostpolnische Bevölkerung in die ehemals deutschen Ostgebiete zwangsumgesiedelt.

1966 beging Polen die Tausendjahrfeier der Christianisierung im Gedenken an die Taufe von Herzog Mieszko. Seit Kriegsende hatte Polen wieder die Grenzen, die Boleslaw der Tapfere mit dem Schwert gezogen hatte: über die Weichsel zur Ostsee, nach Pommern hin, nach Schlesien, bis zu Oder und Neiße. Der romantische polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz ließ Boleslaw als "weißen Adler" aufsteigen und im Blitzflug die Grenzen des Landes bewachen - dieses Verständnis polnischer Geschichte wurde auch in der Zeit kommunistischer Herrschaft allen Schülergenerationen eingetrichtert. Es war die Zeit des Kalten Krieges. Während die Polen fürchteten, dass ihre Nachkriegsgrenzen revidiert werden sollten, gaben in der Bundesrepublik die deutschen Vertriebenen ihre Hoffnung und ihren Anspruch auf die alte Heimat nicht auf.

Beim Konzil hatten die polnischen Bischöfe in einer Aufsehen erregenden Botschaft den deutschen Amtsbrüdern die Hand zur Versöhnung gereicht: "Wir bitten um Vergebung und gewähren Vergebung", hieß es darin. Die deutschen Bischöfe antworteten ihrerseits mit einer Versöhnungsbotschaft - ein Neuanfang in dem schwer belasteten Verhältnis zwischen Polen und Deutschen auf höchster kirchlicher Ebene war gemacht. Zum polnischen Jubiläum 1966 aber durfte kein einziger deutscher Bischof nach Polen einreisen, obwohl Primas Stefan Wyszynski alle eingeladen hatte. Auch Papst Paul VI. konnte nicht kommen. Sein Platz blieb leer.

Die politischen Wirren und Katastrophen vor allem des letzten Jahrhunderts haben den Blick der westeuropäischen Völker auf die 1000-jährige Zugehörigkeit der lateinisch-christlichen Völker des östlichen Mitteleuropas weitgehend verstellt. Bei Polen, Tschechen, Slowaken, Litauern und Ungarn aber blieb die Gewissheit der Zugehörigkeit zum abendländisch-westlichen Kulturkreis immer prägend.

Heute ist Polen wieder ein freier, souveräner, demokratischer Staat auf dem Weg in die Europäische Union und mit guten Beziehungen zu den deutschen Nachbarn. Zum Jubiläum am 12. März wird der vatikanische Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano an dem von der Deutschen Bischofskonferenz gestifteten neuen Altar der Gnesener Kathedrale gemeinsam mit den Staatsgästen und dem polnischen Episkopat einen Festgottesdienst feiern. Der silberne Sarkophag des heiligen Adalbert, dessen Gebeine längst in seinem Heimatbistum Prag ruhen, thront hoch im Kirchenschiff über dem Altar. Er enthält nichts mehr als 1000 Jahre polnischer Geschichte.

Gabriele Burchardt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 10 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.03.2000

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