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Aus der Region

Colaflasche und Ameisenhaufen

Christlich erziehen II

Staunen über kleine WunderGespannt blicken Max, Marius, Duong, Anh und Chris-tina auf die leere Plastik-Colaflasche. Erzieherin Dorothea Weigel hat kochendes Wasser hineingefüllt, das Wasser wieder ausgeschüttet und die Flasche zugeschraubt. Nun steht sie vor den Kindern auf dem Tisch. Und beginnt sich - wie von Geisterhand geführt - zu bewegen. Mehr und mehr zieht sie sich zusammen und fällt schließlich um. Die Kinder staunen und erkennen: Luft hat die Kraft, eine Flasche zusammenzudrücken. (Der sich abkühlende Wasserdampf hat einen Unterdruck in der Flasche bewirkt.)

Heute ist Experimentiertag zum Thema Luft in der "Glückspfiffel"-Gruppe der Erfurter Kindertagesstätte St. Ursula. Unmittelbar in der Natur, aber auch mit kleinen Experimenten im Zimmer machen Kindertagesstätten-Leiterin Dorothea Weigel und Erzieherin Christa Schramm die Vier- bis Sechsjährigen mit der Schöpfung vertraut. Das Anliegen, Kinder möglichst mit vielen der kleinen und großen Wunder der Natur in Kontakt zu bringen, sollte auch Eltern zu Hause ganz wichtig sein, ist Frau Weigel überzeugt.

Mit Kindern die Welt als Schöpfung zu entdecken, so die Erzieherin, heißt zunächst, die kleinen Dinge in der Natur anschauen: Gräser, Blumen, Käfer ... "Anschauen" meint, die Dinge nicht nur mit dem Verstand, sondern mit allen Sinnen, durch Hören und Sehen, Berühren, Riechen, vielleicht auch Schmecken wahrzunehmen. Wenn jemand etwas so ganzheitlich betrachtet, kann er über die Vielgestaltigkeit und Großartigkeit der Welt ins Stauen kommen und zu ahnen beginnen, dass Gott die Welt gemacht hat, sagt die gläubige Christin.

Während Frau Weigel spricht, haben die Mädchen und Jungen der Kindergartengruppe mit Erzieherin Christa Schramm ein weiteres Experiment gemacht: Frau Schramm hat eine Kerze entzündet. Eines der Mädchen durfte ein Glas darüber stülpen. Dabei ging die Flamme aus. Die Kinder haben erkannt: Feuer braucht Luft!

Eltern haben viele Chancen, bei Kindern Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge zu wecken, sagt Frau Weigel: Sie können mit ihnen über verschneite Wege laufen und dabei auf das Knirschen des Schnees oder auf die feinen Kristalle an den Zweigen der Bäume achten. Sie können sich mit ihren Kindern auf eine Wiese legen und die Wolken betrachten oder im Wald spazieren gehen und auf das Rauschen der Blätter hören. Oder sie können einen Ameisenhaufen bestaunen und zuschauen, wie zwei Ameisen eine Tannennadel transportieren.

"Kinder reagieren bei alledem natürlich verschieden", sagt Frau Schramm. "Mein eigenes größeres Kind tut sich zum Beispiel schwer mit Tieren wie Pferden oder Kan../../inchen, mein kleines Kind fasst jedes Tier an. Wichtig ist, die Kinder immer wieder zu Erfahrungen mit den Dingen der Schöpfung, auch den Naturgewalten zu ermutigen."

"Wenn Kinder Freude an der Natur finden, wenn sie zur Schöpfung und auch zu sich selbst ein positives Verhältnis entwickeln und sich so selbst lieben lernen, haben sie die Chance, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwi-ckeln und sich grundsätzlich angenommen und als Teil dieser Schöpfung geborgen zu fühlen", so Frau Weigel. "Es ist gut , wenn sie zu Dingen der Natur eine persönliche Beziehung aufbauen, etwa, in dem sie einen Baum ansprechen: "Guten Tag, lieber Baum. Du bist aber dick. Ich umfasse dich mal, um zu begreifen, wie dick du bist." Oder indem Kinder in Bäumen Fantasiegestalten wie zum Beispiel "Elfen im Silberschneekleid" entdecken.

Kinder brauchen Erfahrungen mit der Natur"Die kleine Weide will eine Geschichte über Gräfenthal hören", sagt die fünfjährige Duong, nachdem sie im Garten der Kindertagesstätte eine ganze Weile mit geschlossenen Augen am Stamm eines jungen Baumes gelauscht hat. Erzieherin Christa Schramm gibt den Kindern einen Einstieg für eine Geschichte: "Liebe Weide, wir Kinder waren drei Tage in Gräfenthal und haben dort deine Geschwis-ter und deine Eltern getroffen. Sie haben dich sehr lieb und lassen dich ganz herzlich grüßen."

Der siebenjährige Marius fährt fort: "Die Weiden dort waren viel älter und viel größer. Und es gab einen riesengroßen Felsen". Und Monika berichtet der kleinen Weide: "Wir haben dort aus Tannenzapfen ein Haus auf den Boden gelegt. Und Hänsel und Gretel gespielt ..."

"Die Kinder hören gern am Stamm von Bäumen, was dieser zu berichten weiß, und erzählen ihm ihre Sorgen", so Frau Schramm. Dabei sprechen sie oft aus, was sie gerade beschäftigt oder gar belastet. Eltern und Erzieher können dann darauf eingehen. Ist man mit den Kindern irgenwo in der Natur, bietet es sich oft an, ein Gebet zu sprechen: "Danke guter Gott, dass wir nach Gräfenthal fahren konnten und viel Schönes erlebt haben, auch die vielen Weiden."

Es gibt gerade auf Reisen viele Möglichkeiten, Kinder mit Feuer, Wasser, Luft und Erde bekannt zu machen und mit der Frage, warum alles so ist, wie es ist. Und zum Staunen zu führen, sagt Frau Weigel. "Hinter allem Staunen aber steht die Einsicht: Das kann ich nicht machen, aber ich kann es ehren, bewahren, erhalten. Dass Kinder davon eine Ahnung bekommen, ist ganz wichtig."

Die Mädchen und Jungen der Kindergartengruppe haben inzwischen von Frau Weigel farbige Tüllservietten bekommen, legen sie wie eine Blüte in ihrer Hand zusammen, werfen sie nach oben und lassen sie zu Boden schweben. Luft trägt!

Kinder haben ein großes Bedürfnis, die Welt zu entdecken und den Dingen und ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Sie wollen vieles wissen und wünschen sich Geschichten und Märchen. "Warum ist der Himmel blau? Wo ist die Sonne in der Nacht? Wo lebt denn Oma, wenn sie bei Gott ist?" sind ihre Fragen. "Wir Erwachsenen sind schnell versucht, mit vernünftigen, logischen Erklärungen zu reagieren, und erleben dabei, dass das Kind immer mehr Fragen stellt. Das sollte uns nachdenklich machen: Vielleicht zielen ihre Fragen gar nicht auf Fakten, wie wir Erwachsenen vorschnell herauszuhören glauben, sondern mehr auf Hintergründiges, auf das Wesen der Dinge. Hier gibt es nur einen Weg, die Erfahrung. Im Tun und Umgang mit den Dingen kann das Kind zum Wesentlichen vordringen. Gut ist es dann, auch als Erziehender selbst ein ,Erfahrener' zu sein, eine innere Ahnung zu haben von dem Beziehungszusammenhang aller Dinge, ihrem Geordnetsein von Gott her und auf ihn hin."

Wer bestrebt ist, die Fragen seines Kindes aus dieser Sicht des Lebens und der Lebenszusammenhänge zu beantworten, so Frau Weigel, wird mit der Zeit feststellen: Das Weltbild meines Kindes ändert sich ständig, es bringt immer mehr Dinge miteinander und zueinander in Beziehung. Sein Bild von Gott wird innerlicher, wesentlicher. Es ahnt das geheimnisvolle Wirken und die Gegenwart Gottes. So entsteht Urvertrauen. Das Kind erfährt in sich immer mehr die Sicherheit, dass der Ursprung und das Ende von allem einer ist, der nicht bewahrt vor Not, Unglück, Unrecht und Tod, der jedoch überall hindurch- und herausführt und aus allen Begrenzungen befreit.

Wer sich bemüht, Kindern die Schönheit der Schöpfung nahezubringen, so Frau Weigel, wird auch nicht die dunklen Seiten der Schöpfung, Katastrophen, menschliche Schuld und Tod verschweigen. Aber die dunklen Seiten werden nicht alles beherrschen. Frau Weigel: "Wie sich Menschen lebendige Natur, also Blumen und Pflanzen, aber auch Bilder von Wald oder Wasserfällen in ihre Wohnungen holen, so müssen wir uns in die eigene Seele und in die unserer Kinder Bilder der Hoffnung holen. Ein Bild der Hoffnung trotz aller dunklen Seiten ist zum Beispiel die Geschichte von der Arche Noa." Überhaupt helfen biblischen Geschichten, aber auch Märchen dem Kind, seine Fragen zu beantworten.

Als in der Nähe Kirchenglocken läuten, macht Frau Weigel die Kinder, die inzwischen wieder im Gruppenraum sind, darauf aufmerksam: Hört ihr die Glo-cken? Welche Kirche läutet da? Warum mögen die Glo-cken wohl läuten?

Es ist gut, Kinder immer wieder anzuregen, still zu werden, eine Weile zur Ruhe zu kommen, empfielt Dorothea Weigel. Dies gelingt zum Beispiel, wenn sie auf einer Matte auf dem Fußboden liegen, die Augen geschlossen haben und einer Geschichte lauschen. Mit drei Jahren kann ein Kind noch nicht lange ruhig liegen bleiben, aber Vier- oder Fünfjährige können das schon. Wenn sie dann lauschen, kann man sie fragen: ,Hört ihr den kleinen Bach plätschern, von dem in der Geschichte die Rede ist? Spürt ihr, wie warm die Sonne auf die Waldwiese scheint?' Auch leise Musik kann zur Ruhe hinführen, rät Frau Weigel. Solche Musik können die Kinder zum Beispiel gut beim Malen oder Basteln hören. Es gibt die Kindersinfonie, die musikalische Schlittenfahrt und vieles mehr. Eltern regen ihre Kinder zum Lauschen an, wenn sie mit ihnen über die Musik sprechen: "Achte mal genau darauf, welche Instrumente du hörst und welches dir besonders gefällt!" Und hinterher: "Wie hast du die Musik empfunden? Heiter? Traurig?" Musik und Tanz sind überhaupt hilfreich, meint Frau Weigel.

Ein guter Erfahrungsbereich für Kinder ist auch der Sandkasten. Hier können sie schöpferisch mit Material umgehen. Sie bekommen aber auch eine erste Ahnung von Vergänglichkeit, etwa, wenn die schöne Sandburg, die sie am Tag zuvor gebaut haben, total zusammengerutscht ist. Sie kommen mit anderen Kindern in Kontakt. Sie planen. Sie können etwas allein tun, aber auch mit anderen zusammen spielen, sich also als eigenständige Person erleben, aber auch Gemeinschaftssinn entwi-ckeln. Frau Weigel: "Auch darüber bekommen sie eine Ahnung davon: So ist Gott: Er lässt mich allein, aber er steht mir immer auch bei."

Es ist Mittag geworden. Die Kinder sitzen am Tisch und haben ihre Hände ausgebreitet zum Gebet. "Guter Gott", betet Frau Weigel vor, "wir danken dir dafür, dass du immer für uns sorgst. Segne dieses schöne Essen, das aus den Gaben deiner Schöpfung bereitet ist. Amen." Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.03.2000

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