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Aus der Region

Die religiöse Erziehung ist ein Abenteuer

Christlich erziehen III

Kinder brauchen einfühlsame erwachsene BegleiterEine große Enttäuschung erzählt Edith Stein über ihre frühe Kindheit. Sie wurde nicht ernst genommen, wenn sie anfing, über die Welt zu philosophieren: "Das lag wohl daran, dass ich in meiner inneren Welt eingesponnen war. Zum Teil war vielleicht auch die he-rablassende Art mit schuld, in der Erwachsene mit Kindern zu verkehren pflegen. Wenn ich anfing, über Dinge zu reden, für die ich ihnen zu klein schien, dann konnten die Erwachsenen lachen und es sich gegenseitig als Kuriosität erzählen. Da schwieg ich lieber still." Ihre Eltern und älteren Geschwister sahen in ihren Überlegungen offenbar nur niedliche Sätzchen, die man sich zwischen Kaffee und Sahnetorte erzählen konnte.

Aber Kindern ist es ernst, wenn sie über Gott und die Welt philosophieren. Meist wie aus der Hüfte geschossen kommen ihnen Ideen und Fragen, die selbst Theologen schon einmal die Sprache verschlagen: "Wer bringt dem Opa im Himmel denn jetzt morgens immer seine heiße Schokolade?" Oder: "Wenn mein Luftballon jetzt immer höher fliegt, wann stößt er denn an die Decke?"

Erstmals hat 1998 sogar ein offizieller Bericht des Bundesfamilienministeriums ausdrücklich eine religiöse Erziehung gefordert: "Auch wenn weniger Menschen sich den religiösen Gemeinschaften fest anschließen, sind damit nicht die Fragen erledigt, auf die die institutionell verfassten Religionen den Menschen ihre Antwort geben ... Nicht wenige Eltern fühlen sich aber offenbar überfordert, ihren Kindern eine tragende Orientierung zu geben."

Deshalb heißt die goldene Regel der religiösen Erziehung zu Hause: Ansetzen bei dem, was sich bei den Kindern zeigt. Das kann ganz unterschiedlich sein. Ausdrucksfähige Kinder mögen sich vor allem fragend und erzählend mit der Welt auseinander setzen. Nach und nach entsteht so ihr eigenes Weltbild aus vielen kleinen Puzzleteilen. Dafür brauchen sie einfühlsame Gesprächspartner. Bei anderen zeigt sich der Glaube malend. Selbst die ersten Kreisbewegungen mit dem Wachsmalstift sprechen von der Suche nach der Mitte und danach, "rundum" geborgen zu sein. Wieder andere stoßen in ihren Rollenspielen auf letzte Fragen. Wenn sie etwa einen Wunderarzt spielen, der jedes Fieber mit einem roten Saft wegtrinken lässt, kommt die Erfahrung hinein: Manche Krankheit, manches Weh muss man aushalten.

Glaube ist also schon beim Zweijährigen ganz persönlich. Deshalb haben Reli- gionspädagogen gewisse Vorbehalte, allgemeine religiöse Entwicklungsgesetze anzugeben. Denn je mehr es um die letzten Dinge geht, desto mehr verläuft die Entwicklung jedes Menschen ganz persönlich.

Während der Biologe sagen kann, wie das Zellwachstum vonstatten geht, oder der Mediziner das Altern beschreiben kann, lassen sich für die religiöse Entwicklung allenfalls Anhaltspunkte angeben. In den letzten Jahren hat der Schweizer Psychologe Fritz Oser von sich reden gemacht.

Nach vielen Studien innerhalb ganz unterschiedlicher Kulturen Amerikas, Indiens oder Europas behauptet er, dass das Verhältnis zwischen Gott, der Welt und dem Ich sich in fünf Stufen entwickelt. Diese sind aber so weitmaschig, dass genügend Raum für eine persönliche Prägung bleibt.

Auf einer ersten Stufe ist das Kleinkind noch einer Welt ausgesetzt, die es nicht versteht. Warum tut es weh, wenn es hinfällt? Warum ist die Mutti einmal gut und dann wieder böse mit ihm? So trägt auch das frühe Gottesbild Züge einer undurchschaubaren Macht. Das verlangt von den Eltern, dass sie ihrem Kind Vertrauen und Verlässlichkeit schenken: "Wir sind immer für dich da. Jede Träne kann wieder abgewischt werden."

Durch diesen festen Halt bekommt das Leben Struktur: "Wenn ich das und das tue, passiert auch genau das." Vor allem im Grundschultalter stehen viele Kinder darum auch vor Gott auf der zweiten Stufe des "ehrlichen Händlers" mit Gott. "Ich gebe etwas, damit du mir etwas gibst." Gott kann bestimmte Verhaltensweisen wie Beten, Gottesdienst, Gehorsam oder auch die Feier von Festen wie Sankt Martin oder Ostern verlangen, und wer sich daran hält, wird auch von ihm beschützt und gesegnet. Diese Haltung begleitet viele Menschen bis ins Jugendalter, einige sogar ihr ganzes Leben.

Meist in der Pubertät bricht sich die dritte Phase Bahn, die Suche nach persönlicher Freiheit. Gott tritt eher an den Rand der Welt, er ist der, der meine Autonomie gewährt: "Gott ist der, der mich sein lässt." Wie in der Naturwissenschaft die eigenen Gesetze der Welt im Vordergrund stehen, so steht persönlich das Entdecken eines eigenen Verhältnisses zu anderen Menschen und Wirklichkeiten obenan. Deshalb werden äußere Ansprüche (Beispiel: Sonntagsgottesdienst) manchmal heftig abgelehnt. Nicht selten bezeichnen sich dann auch getaufte junge Menschen sogar als Atheisten. Wichtig ist, nicht mit Druck zu reagieren, sondern im Gespräch zu bleiben, von eigenen Erfahrungen zu erzählen und religiöse Erlebnisräume, etwa in Gemeinde oder Jugendhaus, zu schaffen. Glaube und Kirche sollen Chancen bieten, selber etwas einzubringen (eigene Ideen für die Gestaltung des Heiligen Abends oder durch Mitarbeit bei einer Religiösen Kinderwoche). "Ich trau dir etwas zu. In meinen Augen kannst du eine ganze Menge beitragen." Wo Erwachsene eine solche Haltung leben, blüht der Glaube Jugendlicher auf.

Wenn Jugendliche dann entdecken, dass Gott viel mehr mit ihrem Alltag zu tun hat, als sie zugeben wollten, kann auf einer vierten Stufe eine reflektierte Beziehung zu Gott wachsen. Gott wird zum Gegenüber, zur Kraftquelle, zum Freund, zum Du. Diese reife Beziehung hat prinzipiell ein offenes Ende und kann nach dem Psychologen Oser auf einer fünften Stufe bis zu einer ständigen, geradezu mystischen Durchdringung von Diesseits und Jenseits gelangen. Dann kann der Gläubige "Gott in allen Dingen finden", wie es Ignatius von Loyola beschrieben hat. Doch Oser bleibt realistisch: Nur wenige Menschen gelangen dorthin.

Ein Abenteuer bleibt die Begleitung Heranwachsender auf dem Glaubensweg immer. Aber wer sich einfühlsam auf den Einzelnen einlässt, wird selber viel von den Kleinen lernen. Denn jedes Wachstum ist keine einfache Höherentwicklung, sondern gleicht eher einem Gewinn durch Verlust.

Andreas Wollbold

Betz, Felicitas: Die Seele atmen lassen. Mit Kindern Religion entdecken; Kösel-Verlag; München 1996; ISBN 3-466-36452-3; Preis: 26,80 Mark

Biesinger, Albert: Gott mit Kindern wiederfinden. Ein Leitfaden für Mütter und Väter (Heft); Herder-Verlag; Freiburg 1998; ISBN 3-451-26607-5; Preis: 6 Mark

Cratzius, Barbara: Kinder im Kirchenjahr. Geschichten, Lieder, Gedichte ...; Brunnen-Verlag; Gießen 1984, 9. Auflage 1999; ISBN 3-7655-2860-9; Preis: 19,80 Mark

Christa, Michaela: 33 Gute-Nacht-Geschichten aus der Bibel, Pattloch-Verlag; Augsburg 1998; ISBN 3-629-00317-6; 15 Mark

Cura, M. J. u.a.: Mein erstes Meßbuch, Sadfia Media Verlags GmbH; Kehl (Rhein) 1994; ISBN 3-88786-070-5; 9,90 Mark

Dohmen, Christoph (Hrsg): Bibel-Bilder-Lexikon; Verlag Katholisches Bibelwerk; Stuttgart 1995; ISBN 3-460-30461-8; 29,80 Mark

Grellmann, Marc und Hartmann, Thomas: Wo wohnt Gott? Fragen und Antworten für Eltern und Kinder; Carlsen-Verlag; Hamburg 1997; ISBN: 3-551-58019-7; Preis: 19,80 Mark

Hoffsümmer, Willi: Gott und die Welt der Kinder. Religiöse Erziehung im Vor- und Grundschulalter; Herder-Verlag; Freiburg 1999; ISBN 3-451-26870-1; Preis: 24,80 Mark

König, Hermine: Das große Jahrbuch für Kinder; Kösel-Verlag; München 1994; ISBN 3-466-36410-8; Preis: 49,90 Mark

Krenzer, Rolf: Kennst du Jesus? Ein fröhlicher Crashkurs; Herder-Verlag; Freiburg 1999; ISBN 3-451-27180-X; Preis: 19,80 Mark

Meine liebsten Bibelgeschichten. Spielend durch die Bibel; St. Benno-Verlag; Leipzig; ISBN Bd. I: 3-7462-1326-6 und Bd. II: 3-7462-1329-0; Preis: je 9,80 Mark

Preuschoff, Gisela: Kinder zur Stille führen. Meditative Spiele, Geschichten und Übungen; Herder-Verlag; Freiburg 1996; ISBN 3-451-23897-7; Preis: 26 Mark

Tausch-Flammer, Daniela, Bickel, Lis: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen. Ein Begleitbuch für Kinder, Eltern und Erzieher, Freiburg Verlag Herder, ISBN 3-451-04882-5, Preis 16,80 Mark

Wolitz, Ulrike und Röder, Gisela: Wir preisen dich! Kleines Messbuch für Kinder; St. Benno-Verlag; Leipzig; ISBN 3-7462-1169-7; Preis: 14,80 Mark

Bistum Dresden-Meißen, Kinder- und Familienseelsorge, K.-Kollwitz-Ufer 84, 01309 Dresden; Tel.: (03 51) 3 36 47 06; Bischöfl. Ordinariat Magdeburg, Ehe- und Familienpastoral, M.-J.-Metzger-Str. 1, 39104 Magdeburg; Tel.: (03 91) 5 96 11 81 oder 16; Bischöfl. Ordinariat Erfurt, Seelsorgeamt, Regierungsstr. 44a, 99084 Erfurt; Tel.: (03 61) 6 57 23 00 oder 30; Bischöfl. Ordinariat Görlitz, Seelsorgeamt, C.-v.-Ossietzky-Str. 41, 02826 Görlitz, Tel.: (0 35 81) 47 82 34

Ehe- Familien- und Lebensberatung der Caritas, zu erfragen über: CV für das Bistum Dresden-Meißen, Magdeburger Str. 33, 01067 Dresden, Tel.: (03 51) 49 83 60; CV für das Bistum Magdeburg, Langer Weg 65-66, 39112 Magdeburg, Tel.: (03 91) 6 05 30; CV für das Bistum Erfurt, Dr.-W.-Külz-Straße 33, 99084 Erfurt, Tel.: (03 61) 6 72 90; CV der Diözese Görlitz, A.-Kolping-Str. 15, 03046 Cottbus; Tel.: (03 55) 38 06 50

Familienbund im Bistum Erfurt, siehe "Flimmo"; Katholischer Familienbund, Mühlweg 3, 02826 Görlitz, Tel.: (0 35 81) 40 11 54; Christlicher Familienbund, Gränertstr. 27, 14774 Brandenburg-Kirchmöser; Tel.: (0 33 81) 8 06 00;

Diözesan-Medienstelle Erfurt, Regierungsstr. 44a, 99084 Erfurt, Tel. (03 61) 6 57 23 65. Medienverleih Bistum Dresden-Meißen, Kathedrale Eingang D, Tel. (03 51) 4 95 31 35, Postanschrift: K.-Kollwitz-Ufer 84, 01309 Dresden

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.03.2000

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