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Bistum Dresden-Meißen

Arbeitslos, eine Urangst von heute

Forum der katholischen Akademie Dresden

Dresden - Biografien mit Vollzeit-Erwerbsarbeit über mehrere Jahre bei einem Unternehmen sind ein Auslaufmodell. Diese Ansicht vertrat der Staatssekretär im sächsischen Wirtschaftsministerium, Wolfgang Zeller, bei einem Gesprächsabend der Katholischen Akademie in Dresden zur Zukunft der Arbeit. "40-jährige Betriebs-Jubiläen wird es künftig kaum noch geben", sagte er. Derzeit seien in der Bundesrepublik im Schnitt noch zwei Drittel der Arbeitnehmer Vollzeit-erwerbstätig. Wolfgang Zeller: "Wissenschaftler rechnen damit, dass es in Zukunft nur noch die Hälfte sein wird." Die Arbeitslosenquote für Sachsen zeige eine "Stagnation auf hohem Niveau". Gegenwärtig liege sie bei über 20 Prozent. Menschliche Arbeit werde, beschleunigt durch die Globalisierung, immer umfassender durch Kapital und Wissen ersetzt. Um die Herausforderungen der kommenden Jahre bewältigen zu können, müsse stärker im Bildungsbereich investiert werden. Das Fehlen von rund 75 000 Spezialisten in der deutschen Computer- und Telekommunikationsbranche bezeichnete Zeller als "Warnzeichen". Gleichzeitig brauchten Menschen, die aus der traditionellen Arbeit gedrängt werden, eine Perspektive. Der Freistaat versuche dies mit dem Pilot-Projekt "Tauris".

Menschen, die älter als 50 Jahre und länger als ein Jahr arbeitslos sind, können freiwillig gesellschaftlich nützliche Aufgaben übernehmen. Derzeit seien das 490 Personen. Zeller: "Die Menschen wollen vor allem mitmachen, dabei sein. Dafür gibt es viele Formen - nicht nur die klassische Erwerbsarbeit."

Michael Aßländer, Philosoph am Internationalen Hochschul-institut Zittau, sagte, zum Hauptproblem werde künftig immer stärker das "Leben in einer Arbeits-Gesellschaft, der die Arbeit auszugehen droht". Nie zuvor in der Zivilisationsgeschichte habe Arbeit einen solch hohen Stellenwert wie heute besessen. "Erwerbsarbeit ist zum Dreh- und Angelpunkt der sozialen Exis-tenz geworden." Der Verlust der Arbeitstelle stelle heute die "Grundangst des modernen Menschen" dar. Aßländer verglich sie mit der Angst des mittelalterlichen Menschen vor Hölle und Verdammnis. Das Problem bei der Arbeitslosigkeit sei weniger das materielle Auskommen, sondern betreffe die soziale Anerkennung. Aßländer: "Es ist hauptsächlich eine Frage der Psycho-Hygiene." Deshalb sei die finanzielle Absicherung von Arbeitslosen nur die eine Seite. Vor allem aber gehe es darum: "Wie können wir die Leute an den Chancen zur Selbstbestätigung beteiligen?"

Hätten Unternehmer und Gewerkschafter noch vor Jahren um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums gestritten, so sei die neue soziale Frage inzwischen: "Wie lässt sich die gesellschaftliche Gesamtarbeitszeit auf alle Mitglieder der Gesellschaft verteilen?" Es sei an der Zeit, sich vom Glauben an ökonomische Selbstregulierungen zu lösen, die zu einer gerechteren Verteilung führen. Einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gebe es nicht. Der Trend zu immer höherer Arbeitsproduktivität führe notwendig dazu, dass immer weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Wissenschaftler prognostizierten, dass in der Zukunft 20 Prozent der vorhandenen Arbeitskräfte ausreichen, um den materiellen Reichtum zu produzieren.

Gefragt sei daher die Dialogbereitschaft aller gesellschaftlicher Gruppen, einschließlich der Kirchen, um nach Lösungen zu suchen wie sie in ersten Ansätzen beispielsweise in der Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Urlaubskonten oder Modellen solidarischer Arbeitsteilung erkennbar seien, so Aßländer.

Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.03.2000

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