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Jesus wird zum Tode verurteilt

Kreuzweg II

Jesus wird zum Tode verurteiltEisenhüttenstadt sollte die erste sozia-listische Stadt der DDR werden. Kirchtürme werde es in ihr nicht geben. Nach dem Willen der Mächtigen hatte das Christentum das Schicksal ihres Herrn Jesus Christus zu teilen: Zum Tode verurteilt. Dieses Urteil muss nicht dramatisch erfolgen. Man kann vom Schreibtisch aus töten. Der Künstler, der diesen Kreuzweg von Eisenhüttenstadt gestaltet hat, lebt in Eisenhüttenstadt. Pfarrer und Künstler haben sich zusammengesetzt und ihre Gedanken aufgeschrieben. Der Text zur ersten Station heißt: "Jesus ist ohne Schuld, er steht vor Pilatus. Der ist für alle möglichen Stimmen empfänglich. Er spricht mit zwei Zungen. Ein Schreibtischmörder, wie es sie immer wieder gab. Das leere Schreibtischfach weist hin auf Aktenvernichtung. Immer wieder versuchen Menschen, sich reinzuwaschen."

Ich stehe vor dieser ersten Station und sehe einen sehr einsamen Christus. Der Verratene, der allein Gelassene mitten unter Menschen, mitten in einer Stadt. Diese Stadt kann Jerusalem, Eisenhüttenstadt oder Moskau heißen. Der überflüssige Jesus und die überflüssigen Christen. Wen interessiert das noch? Auf dieser Kreuzwegstation von der Verurteilung Jesu ist niemand neben Jesus, keiner für Jesus und keiner bei Jesus. Es ist aber auch offiziell keiner gegen Jesus. Das hat man nicht nötig, das hat man nicht mehr nötig. Was zu tun ist, um diesen Jesus Christus auszuschalten, kann man per Telefon, per Fax, per Massenmedien erledigen. Der Funktionär am Schreibtisch braucht sich die Finger nicht dreckig zu machen. Er braucht sich auch heutzutage seine weiße Weste nicht zu beschmutzen.

Am Ende wird alles säuberlich beiseite geräumt: Die Akten, der verurteilte Jesus Christus und das Christentum. Allenfalls in den Museen ist noch etwas von diesem störenden Christsein zu finden, aber eben als Kunst, die niemand beunruhigt oder aus der Fassung bringt. Das hat nicht nur im Sozialismus gut geklappt. Es funktioniert auch heute. Da kommt ein etwa 40-jähriger Mann in die Stiftskirche zur Kirchenbesichtigung. Er zeigt auf das Kreuz und fragt in voller Ernsthaftigkeit: "Was soll denn der Mann an dem Brett?" Todesurteil durch Vergessen. Machen wir da nicht fleißig mit? Oder wie ist das, wenn wir in unseren Häusern keine Kreuze aufhängen, weil wir ja vielleicht die Gefühle der nicht Glaubenden verletzen könnten? Jesus wird zum Tode verurteilt: Damals und heute. Klaus Weyers

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.03.2000

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