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Bistum Dresden-Meißen

Interessiert an den Nöten des Nachbarn

Hirtenwort für Dresden-Meißen

Versuchen wir uns vorzustellen, wie Gott diese Kirche von Dresden-Meißen sieht, dann wird eine Tatsache seine Freude gefunden haben: Irgendwann im Leben musste jeder Diaspora-christ, der der Kirche treu geblieben ist, eine bewusste Entscheidung für Gott treffen. Sehr viele wurden dazu durch Angriffe von außen schon im Schulalter he-rausgefordert. Der Gegenwind gehört in dieser Region seit langem zur Alltagserfahrung eines Gläubigen. Das ist aber eine besondere Chance, eine besondere Gnade für uns. ... Ein Vorzug der Diasporakirche liegt gerade in dieser für viele unumgänglichen, ganz persönlichen Entscheidung für den Glauben. ...

Der Zwang zur Auseinandersetzung mit antireligiösen Parolen ... forderte zu einer vernünftigen Begründung des Glaubens heraus. Ein Diasporachrist konnte sich nicht einfach auf die traditionelle Fortsetzung einer guten Gewohnheit seit Generationen berufen, sondern musste schon seinen Verstand einschalten um sagen zu können, weshalb er sich für den Glauben an Gott entschied. ...

So ist aus Bedrängnissen, in die uns der Geist Gottes geführt hat, wie er Jesus in die Wüste führte, manche reife Frucht erwachsen, für die wir Gott danken wollen, und die für die Kirche Westeuropas in der kommenden Zeit für den notwendigen Neuanfang dringend gebraucht wird. ...

Die von Gott gegebene Entschiedenheit im Glauben, die Erfahrung von Gemeinde als Familie und der auch in der Vernunft verankerte Glaube sind Gaben, die wir nicht nur für uns selbst empfangen haben. Viele Menschen in unserer Umgebung brauchen unser Glaubenszeugnis. Sie sind nicht so gleichgültig gegenüber den Sinnfragen ihres Daseins ... Sie suchen nach der Wahrheit. Die heilige Edith Stein hat gesagt: "Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht." Viele haben längst gemerkt, dass der Wohlstand und die großartigen Angebote einer freien Welt dem Menschen nicht genügen. Vornehmlich auch die Ungerechtigkeiten einer profitorientierten Gesellschaft provozieren Fragen, die den Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Gott hat uns durch sein Wort die entscheidenden Antworten bereits gegeben. Wenn wir unsere Mitmenschen wirklich lieben, müssen wir diese gefundenen Erkenntnisse weitervermitteln. Kirche muss zu den anderen hingehen, sie in ihren Nöten und Sorgen ernst nehmen ... So dürfen wir beispielsweise nicht achtlos an dem vorbeigehen, der unter seiner Dauerarbeitslosigkeit fast verzweifelt. Wir müssen uns interessieren für die Einsamen, besonders auch für die Kranken, die niemanden mehr haben. Selbstverständlich freuen wir uns auch mit denen, die glücklich sind ... Kurzum, unsere Gemeinden müssen stärker aufbrechen in die Gesellschaft und bei den anderen sein: Kontaktfreudigkeit, Offenheit, interessiert am Schicksal des Nachbarn und eben auch Bereitschaft, bei der Wahrheitssuche ohne Hemmungen zu helfen ...

Manche Gemeinden stellen fest, dass durch die vielfältigen neuen Angebote, die verständlicherweise intensiv nach 1990 genutzt worden sind, die Verbundenheit untereinander gelitten hat. Hier müssen wir uns bekehren. Ohne die lebendige Verbundenheit unter uns Christen nach dem Bild des dreieinigen Gottes werden wir nicht in der Lage sein, unsere Aufgaben zu erfüllen. Nur Hand in Hand mit Christus mitten unter uns (Mt. 18.20, Lk 24,36) haben wir die Kraft, die Zukunft unseres Landes im Geist Gottes zu gestalten.

Lassen wir die in Notzeiten gewachsenen Vorzüge und Charismen unserer Gemeinden in den nun günstigeren Zeiten nicht verkommen; denn sollte einer auf dem Weg der Wahrheitssuche im Wort des lebendigen Gottes fündig werden, wo findet er dann ein Zuhause, wenn wir es selbst verloren haben? Freilich, wir empfinden es alle, dass die Zeit ... knapp geworden ist. Zeit für geschwisterliche Verbundenheit in Christus hat aber Ewigkeitswert. Ewigkeit jedoch kann kein Kalender ersetzen.

So lasst euch einladen in die Familienkreise, Gemeindeabende, zu Wallfahrten und Ausflügen. Bleibt nicht allein. Gemeinsam müssen wir weiter unsere Feste feiern, wie wir es in den harten Tagen so gern getan haben. Miteinander lachen und weinen, singen und tanzen, Gottes Wort meditieren und beten. Auch ich darf euch alle schon heute herzlich einladen zum großen Fest des Bistums im Jubiläumsjahr am Dreifaltigkeitssonntag, dem Sonntag nach Pfings-ten, an der Dresdner Kathedrale.

(gekürzt)

gez. Joachim Reinelt

Bischof von Dresden-Meißen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.03.2000

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