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Aus der Region

Genauso elementar wie Sex...

Kirche in Werbung

Immer mehr Ordensleute und Priester, dazu eine ordentliche Portion Paradiesgärten, Bibeln, Kreuze und Ausdrücke des kirchlichen Sprachgebrauchs tauchen dort auf, wo viele sie nicht erwarten: auf Werbeplakaten und Anzeigen, ebenso in TV-Spots. Doch nicht etwa, um in eigener Sache zu werben. Vielmehr gilt es, Handys, Zigaretten, Autos - und was der Mensch sonst noch braucht - an den Mann und die Frau zu bringen. Viele Werbeagenturen verwickeln die "frommen Akteure" in Konsumbotschaften. Und tun so etwas, das ihrer Zielgruppe zunehmend fremd wird: Sie greifen auf die Kirche zurück.

Bevorzugte Saison ist die Weihnachtszeit. Dann schweben goldgelockte Engelchen durch Wolken von Sternenstaub, um uns die frohe Botschaft zu verkündigen, dass Markenschuhe jetzt zu "himmlischen" Preisen zu bekommen sind. Aber auch, wenn das frohe Fest längst vorbei ist und hunderte an Mark für die Geschenke der Lieben ausgegeben wurden, fungiert die Kirche mit ihren Motiven und Würdenträgern, ihrem Symbol- und Sprachschatz als "Werbehelfer" - oftmals leicht verfremdet oder ironisiert. Wie zum Beispiel die Ordensfrau, die im Fernseh-Spot mit ihren Mitschwestern eine Busreise macht. Nach einer Fahrtpause kommt sie zu spät zum Gemeinschaftsgefährt, das sie gerade noch um eine Ecke biegen sieht. Ein Glück nur, dass die Schwester in diesem Moment ihre Kreditkarte zücken kann. Mit deren Hilfe mietet sie einen Sportwagen und heizt dem Bus hinterher. Happy End.

Amüsiert dieses Beispiel noch manchen, so finden sich auf Bildschirmen, Plakaten und Anzeigen hin und wieder Werbebotschaften, die vielen Christen das Schmunzeln vergehen lassen. Eine Kostprobe davon bot das Unternehmen Otto Kern vor einigen Jahren. Für seine Designer-Bekleidung warb es mit einem Bild, das den Betrachter unweigerlich an die Abendmahlsszene von Leonardo da V../../inci erinnert. Nur haben sich an dem langen Tisch nicht zwölf Jünger um ihren Herrn versammelt, sondern zwölf attraktive junge Damen, die mit nichts weiter als Jeanshosen der werbenden Firma bekleidet sind. "Geradezu abstoßend", wie der Trierer Bischof Hermann Josef Spital, zugleich deutscher "Medienbischof" findet. Es gäbe zwar Werbung, in der Motive der Kirche freundlich und liebenswürdig verwendet würden. Bedauerlich sei aber, "dass es allzu oft daneben geht, wenn christliche Symbole in der Werbung eingesetzt werden."

Dass der Gebrauch christlicher Symbole in der Werbung zugenommen hat, bestätigt der Frankfurter Werbepsychologe Heiko Bolz. Neuen Auftrieb habe die Verwertung christlicher Motive für Werbebotschaften gerade in den letzten zehn Jahren bekommen. "Früher war man mit deren Benutzung und Ironisierung sehr vorsichtig. Man dachte, der Schuss kann auch nach hinten losgehen." Im Moment sei jedoch eine zunehmende Liberalisierung zu beobachten. "Diese Lockerung", so Bolz, "betrifft auch kirchliche Institutionen."

In den meisten Fällen, so erklärt der Psychologe, der selbst als strategischer Planer und Marktforscher bei einer Werbeagentur arbeitete, gehe es in Kampag-nen mit christlichen Motiven nicht um ein "plattes Runterputzen und Kritisieren"; vielmehr um eine "sanfte Ironie". "Es werden reale Eigenschaften karikiert. Und die Menschen, die es selber betrifft, können diese Ironie mit einem zwinkernden Auge aufgreifen."

Mit dem "Zwinkern" jedoch ist es nicht so einfach. Worüber der eine noch lachen kann, findet ein anderer gar nicht mehr witzig. Ebenfalls unklar sind die gesetzlichen Bedingungen. Ein Gesetz, das alle die Werbung betreffenden Fragen einheitlich regelt, gibt es nicht. Als Grundgesetz für die Werbung gilt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Moralische Mindeststandards werden vom deutschen Werberat, dem Wächterorgan der Werbewirtschaft, festgelegt. Sie sind jedoch nur freiwillige Selbstbeschränkungen - strafrechtlich nicht relevant. Trotzdem hilft die Institution effektiv gegen werbende Fehltritte. Jeder, der sich über eine der Konsumbotschaften ärgert, kann hier Beschwerde einlegen. Diese verschwindet nicht in Aktenordnern, sondern wird untersucht und kann für das werbende Unternehmen mit einer Rüge enden. Eine Beschwerdemöglichkeit, von der auch Bischof Spital Gebrauch macht, den häufig Beschwerdebriefe erreichen. "Wir prüfen in der Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz jeden Fall sehr aufmerksam. Die Zentralstelle Medien legt dann auch häufiger Beschwerde ein."

Seit seiner Gründung vor 28 Jahren haben sich denn beim Werberat auch dutzende von Fällen angesammelt, in denen Konsumenten ihre religiösen Gefühle verletzt sahen und ihr Beschwerderecht gebrauchten. In der letzten Halbjahresbilanz des Werberats waren elf Kampagnen betroffen. Damit liegt der Anteil deutlich unter der Beschwerdemenge wegen Frauen-Diskriminierung. Gewaltdarstellungen in der Werbung wurden jedoch in weniger Fällen beanstandet.

Warum aber greifen Unternehmen so gerne zum "Ladenhüter Kirche", um damit ihre Marken möglichst gut zu verkaufen? Darüber sind die Experten geteilter Meinung. Der Werbefachmann Marcel Loko, Mitinhaber der Hamburger Agentur "Zum goldenen Hirschen", sieht die Kirche als "größte kollektive Bewusstseinsquelle" im christlich-abendländischen Bereich. Bekanntestes Logo sei das Kreuz. Der bekannteste Slogan sei das "Amen". Selbstbewusst erklärt Loko: "In meiner Arbeit versuche ich immer, auf Bilder zurückzugreifen, die Menschen kollektiv verstehen. Das hat Jesus letztendlich auch so gemacht. Und so kommt eben auch die Häufigkeit von Kirchenmotiven in der Werbesprache zustande."

Der Jesuitenpater Martin Löwenstein, der sich mit Werbung intensiv auseinandergesetzt hat, sieht es etwas anders: "Es gibt gar nicht so viele Symbole, mit denen man arbeiten kann. Da wirken 2000 Jahre Kulturgeschichte nach." Ein weiterer Grund, sich christlicher Motive anzunehmen, sei Mangel an Geld und Fantasie: "Wenn dem Kreativen in der Werbeagentur nichts einfällt, platziert er eine Blasphemie und hofft, dass sich genügend Christen finden, die durch ihren Protest den Werbeeffekt vervielfachen."

Der eigentlich interessante Grund liegt für ihn jedoch tiefer: "Wenn Typen als Werbeträger verarbeitet werden sollen, die irgendwie schräg sind, dann kommt man offensichtlich schnell auf Priester, Mönche oder Nonnen, katholisch und in einer Tracht, die es zumeist in Deutschland schon nicht mehr gibt. In diesen "weltfremden" Gestalten, so interpretiert Löwenstein, sähe man jemanden, der sich nicht den herkömmlich Konsummustern unterwirft. Dies zeige auch "dass die Radikalität der Berufung zum Priester oder in einen Orden, letztlich das Christentum und die Kirche insgesamt, immer noch als Widerspruch und Herausforderung empfunden werden."

Eine ähnliche Erklärung findet der Psychologe Bolz, drückt sie der Kirche gegenüber allerdings kritischer aus: "Dass man ein Publikum für diese - häufig ironisierende - Werbung findet, liegt auch daran, dass die Kirche in der Öffentlichkeit für viele ein Stein des Anstoßes ist. Sie wird nicht mehr als zeitgemäß erlebt. Für die breite Masse ist zum Beispiel der Zölibat einfach unverständlich. Ähnlich ist es mit der Rolle, die die Frau in der Kirche einnimmt." Es gäbe 1000 weitere Beispiele."

Wie die Kirche verstanden wird, zeigt sich oft ebenfalls im Spiegel der Werbeplakate und -programme. Zum Beispiel in dem kurzen TV-Spot, der einen jungen Mann zeigt - von seiner Freundin verlassen. In seiner Verzweiflung sieht er nur eine Möglichkeit: der Gang ins Kloster. Doch bevor er an der Pforte - schwer und aus Holz - klingelt, will er, noch ein letztes Mal, einen Schokoriegel genießen. Der gute Geschmack des beworbenen Riegels bringt die Wendung. Der junge Mann klemmt das Schokoladenpapier an die Klostermauer und geht wieder nach Hause. Dem Betrachter drängt sich eine Assoziation auf: Hinter den Klostermauern ist keinerlei Genuss zu erwarten, ebensowenig Freude, Freiheit und echtes Leben. Daneben scheint eines sicher: Wer im Kloster lebt, hat keinen Partner abgekriegt.

Damit verfremdete christliche Motive in der Werbung ihre Wirkung erzielen, muss der Konsument das Original allerdings kennen. Bolz bestätigt, dass elementares Glaubenswissen, wie etwa die Zehn Gebote oder das Vaterunser noch bekannt sind. Mit Details wüssten jedoch viele Menschen nichts mehr anzufangen. Bolz resümmiert: "Es ist möglich, dass in der Werbung ein Mönch über seine Kutte stolpert, aber nicht, dass Fronleichnam thematisiert wird."

Dass fast ausschließlich Äußerlichkeiten aufgegriffen werden, darüber sind sich auch Löwenstein und Loko einig. Eine Zeitungsannonce wie die einer Taschen-Firma besitzt Seltenheitswert: Durch zwei riesige Mauern von Wasser wandert ein Mann. Er trägt ein langes, wallendes Gewand und erinnert in seiner Erscheinung an die Abbildungen alttestamentlicher Juden in der Kinderbibel. Über ihm steht in geschwungenem Schriftzug "Believe". Der Wanderer, der den Rucksack der "richtigen" Marke trägt, ist leicht als Mose zu identifizieren - allerdings nur für denjenigen, der die Geschichte vom Zug des Volkes Israel durch das Schilfmeer aus dem Buch Exodus kennt. Ansonsten beschränken sich viele Werbespots und -anzeigen auf bekanntere Motive. Einige sind besonders beliebt und deshalb in unterschiedlichen Varianten immer wieder anzutreffen: Bilder aus der Sixtinische Kapelle, Adam und Eva, die Zehn Gebote - oder eben Menschen in Ordenstracht.

Diese bekannten Bilder werden leicht verfremdet, abgewandelt dargestellt. Für Marcel Loko ist das legitim: "Ich muss schon die grinsende Nonne oder den Essen genießenden Pfarrer zeigen, um einen kleinen Bruch zu haben. Denn meine erste Aufgabe ist, die Leute mit Unerwartetem zu konfrontieren. Und das tue ich mit so einer Verfremdung."

Loko selbst ist kein unbeschriebenes Blatt. Vor drei Jahren geriet auch seine Agentur wegen des Gebrauchs religiöser Motive unter Beschuss. Für eine Automarke hatten sie mithilfe des Vaterunsers und anderer Grundgebete markige Sprüche kreiert. "Im Namen des Vaters, des Sohnes und der eiligen Familie" - nur einer der verbalen Tabu-Brüche. Vor allem die evangelische nordelbische Landeskirche kritisierte damals heftig die Kampagne. Das Resultat: Sie wurde zurückgezogen. Loko bewertet diesen Rückzug als richtig: "Ich habe die Kritik verstanden. Und zwar so gut, dass ich dachte, man sollte dieses Motiv nicht mehr schalten." Er ist sicher, dass sich Werbungstreibende nicht nach Belieben aus dem Fundus der Kirche bedienen sollten. "Kernbotschaften geschmacklos zu verändern, die Gläubige mit großen Emotionen verbinden - da würde ich für mich persönlich und auch für unsere Agentur eine Grenze sehen." Und die sei eben immer dort, wo sich Menschen verletzt fühlen. Gleichzeitig lässt der Werbefachmann keinen Zweifel daran, dass viele Christen zu empfindlich auf die mehr oder weniger "heilige" Werbung reagierten. Flapsig redet er vom "Unternehmen" Kirche und ihrer Botschaft als einem "Produkt" und kritisiert doch ernsthaft: "Es gibt eine Menge Leute in der Kirche, die eine Innensicht haben. Sie beschäftigen sich den ganzen Tag mit ihrem Unternehmen. Am Ende fehlt ihnen dann die Distanz. Mit den Personen, die draußen sind, können sie nicht mehr vernünftig kommunizieren." Sein Tipp "von außen": Für manchen, der zu empfindlich reagiere, gelte es, sich in Kirchenfremde hineinzuversetzen. Daneben rät Loko zum Selbstbewusstsein: "Die Christen können sich umschauen und einfach darüber freuen, dass ihr Produkt immer noch so eine Aktualität hat. Glaube, die Beschäftigung mit übergeordneten Dingen wird für die Menschen immer genauso elementar bleiben wie Sex. Deshalb werden sich beide auch immer in irgendeiner Weise in der Werbung wiederfinden."

Nichtsdestotrotz gibt es religiöse Werbemotive, die über das Ziel hinaus schießen. Hier rät Pater Martin Löwenstein: "Öffentliche Pro-teste gegen geschmacklose Werbung sind kontraproduktiv: Man lässt sich damit nur vor den fremden Karren spannen." Im Falle eines Falles, empfiehlt der Jesuit, eine Beschwerde beim Deutschen Werberat.

Während dessen Untersuchungsverfahrens haben die Firmen mehrfach Gelegenheit, zu Vorwürfen Stellung zu beziehen. Viele nutzen diese Möglichkeit und ziehen ihre Kampagne zurück. Nur wenige bleiben hartnäckig und provozieren so die öffentliche Rüge. Im Bereich der Werbung mit christlichen Motiven war das zum letzten Mal 1994 der Fall - und betraf im Übrigen die Firma Otto Kern mit ihrem "Abendmahlsbild". In der Regel aber, so erklärt ein Sprecher des Aufsichts-Gremiums, "zeigen sich die Firmen da sehr sensibel und einsichtig."

Juliane Schmidt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.03.2000

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