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Bistum Erfurt

Treff ist für viele zur Heimat geworden

Caritas Leinefelde

Leinefelde - "Zur Platte" - das klingt nach Beton: trist, roh und kalt. "Sich um jemanden eine Platte machen" meint dagegen, dass einen die Not des anderen berührt, man sich Gedanken macht, wie man ihm helfen kann. Gedanken, die einem einfallen können, wenn man sich auf den Weg zum Tagestreff der Caritas in Leinefelde machtt.

"Zur Platte". Farbige Buchstaben prangen über dem Eingang, einem Haus inmitten des DDR-Neubaugebietes im Leinefelder Süden, dem sozialen Brennpunkt der Stadt. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit macht der Region zu schaffen: Immer mehr Menschen sind von Armut betroffen. Die Ÿrmsten wohnen hier im Neubaugebiet. Für viele von ihnen ist der Tagestreff der Caritas zu einem wichtigen Anlaufpunkt geworden. Seit September vorigen Jahres befindet sich die Einrichtung hier in der Heinestraße 39, nachdem die Vier-Raum-Wohnung, in der der Treff zuvor untergebracht war, zu klein geworden war. In den Räumen der Heinestraße ist nun mehr Platz - zum Verweilen und für die Beratung.

Der Aufenthaltsraum ist wohnlich eingerichtet, auch wenn die Möbel aus unterschiedlichen Beständen stammen. Mehrere Männer sitzen an den Tischen, reden oder schweigen, nippen an ihren Kaffeetassen. Kaffee und Tee kosten hier 20 Pfennig, Alkohol ist tabu. Nebenan spielen einige Männer Billard. Für viele ist die "Platte" zur zweiten Heimat geworden: Man kennt sich, duzt sich. Wenn es den Tagestreff nicht gäbe, sähe es für die meisten hier bitter aus.

"Es gibt ein Buch, das heißt ,Die vergessene Mehrheit'", sagt Hilmar Rohde, einer der vier Sozialarbeiter. "Dazu zählen diese Menschen. Für sie fühlt sich keiner mehr zuständig. Die Behörden machen sie teilweise für ihre Situation selbst verantwortlich. Und die Betroffenen trauen sich nicht mehr, werden vergessen und balancieren immer an der Grenze, stets in der Gefahr, durch das soziale Netz zu fallen." Die "Platte" wird zum Rettungsanker, wo alles wegzubrechen droht. Hier wird den Menschen geholfen, eine Wohnung zu finden, hier erhalten sie Unterstützung bei Behördengängen, Rechtsbeistand und in vielerlei Hinsicht Beratung und Hilfe.

"Obwohl wir bemüht sind, mögliche Sanktionen schon im Vorfeld abzuwehren, ist es für die, die hierher kommen, oft schon zu spät", sagt Ilse Fuchs, die für die Geldverwaltung zuständig ist. Zum Glück kann sie in den meisten Fällen dennoch helfen: Rüdiger zum Beispiel. Er kam, weil ihm der Strom abgedreht wurde. Das Geld von seinem ehemaligen Arbeitgeber hat er bis heute nicht bekommen, und so stand er bei den Stadtwerken in den roten Zahlen. Ilse Fuchs konnte eine Ratenzahlung vereinbahren. Rüdiger gab seine Geldangelegenheiten in ihre Obhut. "Das ist schon eine schöne Sache mit der Geldverwaltung", erklärt die Sozialarbeiterin. "42 Klienten nutzen dieses Angebot. Ich sehe genau, was monatlich an Einkünften kommt, tätige per Telebanking die festen Überweisungen. Und den Rest erhalten die Klienten als Taschengeld, oder sie sparen es."

Mit dem Sparen ist das aber so eine Sache, denn nicht wenige der Betroffenen setzen ihr Geld gern in Alkohol um. Den Sozialarbeitern ist es deshalb wichtig, mit ihnen tiefer ins Gepsräch zu kommen, sie zu beraten und zu begleiten und notfalls in Krisen beizustehen. Die Selbstverantwortung der Klienten zu entwi-ckeln, steht im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Wer in die "Platte" kommt, kann sich duschen, die Wäsche waschen - selbst die Haare können hier geschnitten werden. Sozialarbeiter Hilmar Rohde findet es aber auch sehr wichtig, zu den Menschen auf die Straße zu gehen. Ein harter Job, wie die Sozialarbeiter einräumen: "In unserer Arbeit hat man wenig Erfolgserlebnisse", so Rhode. "Für mich ist das immer ein Konflikt zwischen dem Akzeptieren der Lebensweise, die jemand wählt - zum Beispiel, dass er weiter trinkt - und unserem Bemühen, dem Menschen auf die Beine zu helfen. Aber natürlich ist es auch schön, wenn unsere Angebote weiterhelfen."

Michael ist ein Beispiel dafür, dass das Engagement der Sozialarbeiter nicht umsonst ist. "Ich war alkoholabhängig", erzählt er. "1995 kam ich regelmäßig hierher in die Beratung. Nachdem ich mich zu einer Entwöhnung entschlossen und sie hinter mich gebracht hatte und es mir wieder besser ging, absolvierte ich eine Umschulung zum Speditionskaufmann. Von 1998 bis 1999 arbeitete ich dann hier bei der Caritas selbst als ABM-Mitarbeiter. Hier hatte ich eine Aufgabe gefunden." Kurz darauf erkrankte Michael jedoch psychosomatisch und bezieht seitdem Rente. Trotzdem kommt er zweimal wöchentlich hierher und hilft ehrenamtlich - bei der Arbeit am Computer oder beim Lagerauffüllen. Michael kann sich heute gut in die Lage der Betroffenen hineinversetzen, aber er muss einen festen Willen haben, um nicht wieder rückfällig zu werden. Er hat es geschafft, für andere ist es schwieriger, wenn keine Perspektive da ist. Einen Aufschwung erhoffen sich die Leinefelder jedoch von der Autobahn, die die Infrastruktur in der Region beleben soll.

"Die Politik muss etwas tun, denn wir können nur ,flicken'", meint auch Ilona Bärlauch, die dritte im Team der Sozialarbeiter in der "Platte". "Und nicht mal unsere Arbeit ist gesichert, da wir ja alle aus verschiedenen ,Töpfen' bezahlt werden." Frau Bärlauch sagt es und zieht sich wieder in ihr Büro zurück, denn der nächste Klient wartet auf ein Beratungsgespräch. Weil für die Arbeit in der "Platte" immer auch Geld nötig ist, wird ein Teil der Einnahmen bei der an diesem Wochenende beginnenden Haus- und Straßensammlung direkt dieser Caritas-Einrichtung zugute kommen.

Claudia Breitkopf



Siehe auch: Caritas

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.03.2000

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