Fragen auf die der Staat keine Antwort hat
Jugendliche im Gespräch mit Brandenburg Bildungsminister Steffen Reiche

Im Gespräch mit dem Minister
Neuhausen (kh) -Das Fach "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" (LER) komme wie jede staatliche und menschliche Antwort "irgendwo zu seinem Ende". Dann sei der Punkt erreicht, an dem die Fragen "nur noch von Gott her" beantwortet werden könnten. Das sagte der brandenburgische Bildungsminister und evangelische Pfarrer Steffen Reiche am 15. Dezember vor katholischen Jugendlichen in Neuhausen. Zu dem Wochenende unter dem Motto "Bibel oder/und Parteiprogramm?" hatten das Don-Bosco-Haus und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend im Bistum Görlitz eingeladen.
Die Frage von David Lamm aus Spremberg, weshalb an brandenburgischen Schulen Ethik -eventuell LER genannt -und Religionsunterricht nicht als alternative Fächer angeboten würden, gebe er an die Kirchen zurück, sagte Reiche: "Warum helft ihr uns denn nicht, einen guten LER-Unterricht zu machen?" Zum Beispiel unterrichteten derzeit viel zu wenige katholische oder evangelische Lehrkräfte LER. Diözesanjugendseelsorger Bosco Marschner, der das Wochenende zusammen mit Bildungsreferent Ferdinand Liedtke leitete, hakte an dieser Stelle nach. Ob christliche LER-Lehrer überhaupt ihren Glauben "rüberbringen" dürften, wollte er von Reiche wissen. Schließlich solle dieser Unterricht doch "bekenntnisneutral" sein. Der Minister bejahte die Frage. "Indoktrinieren" dürften sie die Schüler allerdings nicht.
Zugleich bekräftigte Reiche, dass konfessionslose Mädchen und Jungen im LER-Unterricht gemeinsam mit ihren christlichen Mitschülern etwa über das Zusammenleben mit anderen, über den Umgang mit Krankheit und Sexualität sprechen sollten. Dies sei in einer Situation, in der den meisten Nichtchristen gar nicht mehr bewusst sei, dass sie Gott vergessen hätten, "dringend notwendig", damit der Glaube nicht nur als etwas Verstaubtes und Altmodisches angesehen werde. Reiche stellte aber auch klar, dass katholische und evangelische Schüler nicht verpflichtet seien, an LER teilzunehmen: "Sie können sich natürlich von LER abmelden. Dieses Recht haben sie heute und das haben sie auch in Zukunft."
Den Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts (siehe Ausgabe vom 16. Dezember, Seite 1 und 2) bezeichnete Reiche am Rande der Veranstaltung als "praxis- und lebensnah": "Ich glaube, das kann man gut und zügig miteinander umsetzen."
Bevor die Teilnehmer auf LER zu sprechen kamen, hatten sie sich gemeinsam mit dem Minister Gedanken über die so genannte Zinsgroschenperikope im 22. Kapitel des Matthäus-Evangeliums gemacht. Darin wird Jesus von Pharisäern gefragt, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Jesus antwortet da-rauf: "So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!"
In der anschließenden Diskussion über den Herrschaftsanspruch Gottes und den des Staates wies Reiche darauf hin, dass Gott als dem "Schöpfer von allem" die erste Macht zukomme. Dennoch sei es sinnvoll, dass sich die Menschen eine gemeinsame Ordnung gäben. Diese müsse sich daran messen lassen, ob durch sie noch erlebbar werde, was die Christen im Glaubensbekenntnis bezeugten. Je nach dem, wie groß diese Übereinstimmung sei, sollten Christen dem Staat Gehorsam leisten oder Kritik an ihm üben.
Reiche wies die Jugendlichen wiederholt darauf hin, dass der Staat jedoch auf bestimmte Fragen nur unbefriedigende Antworten geben könne, etwa auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Woher und Wohin des Menschen. Das Wissen, von der Mutter geboren zu sein, bei Krankheit in einer Klinik behandelt und nach dem Tod auf einem Friedhof beerdigt zu werden, lasse die Unruhe im Herzen nicht verschwinden, meinte Reiche. Ein "sicheres Gefühl in dieser Welt" könnten nur Antworten aus dem Glauben geben: "Gott ist der Schöpfer. Ihm verdanke ich mein Leben. Gott ist der Retter. Über den Tod hinaus bewahrt er mich."
Warum er selbst in die Politik gegangen sei, begründete Reiche damit, dass er den Glauben nicht nur bezeugen, sondern auch dazu beitragen wollte, dass die Menschen ihren Glauben im Alltag leben könnten. Der evangelische Pastor betonte aber, er sei nicht als Pfarrer in der Politik tätig. Ein Geistlicher hat seiner Meinung nach dort nichts zu suchen: "Ein Pfarrer soll für alle da sein. Jemand, der sichtbar in einer Partei ist, kann nicht für alle Partei nehmen."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 20.12.2001