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...am 27. März 1954

Damals...

Unter dem Titel "Was heißt Fastenzeit?" zitierte der Tag des Herrn aus der "Potsdamer Kirche":

Fastenzeit, das ist ein Wort, das uns Evangelischen manchmal verdächtig klingt. Wir haben es nicht sehr gern und sagen, wenn wir gefragt werden, wa-rum das so sei, meistens nicht den wahren Grund: Dass dieses Wort nämlich eine Forderung an uns enthalte, die wir nicht gern erfüllen. Was geht uns die Fastenzeit an? Wir sagen lieber "Passionszeit". Dann denken wir nur an Christus und können uns aus dem Spiel lassen. Aber wie sollen wir das Wort verstehen? Sollen wir etwa nichts essen? Oder nur noch Kartoffeln mit Salz? Ich muss gestehen: So richtig bin ich mit diesen Fragen bisher nicht fertig geworden, bis mir dieser Tage ein Freund über den Weg lief. Ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen, und wir blieben deshalb einige schöne Abendstunden zusammen in seiner Wohnung. Dieser Mann war ein "Lebenskünstler", so sagten wir, die wir ihn kannten. Er hatte eine leichte, angenehme Art, mit dem Leben fertig zu werden. Ihm schien immer gerade das zu Gebote zu stehen, was er sich wünschte. Er war auch ein Mensch, der sich die Annehmlichkeiten des Lebens nahm, die es bot.

An diesem Abend kamen wir in ein tiefes Gespräch. Es fesselte uns so, dass wir Raum und Zeit um uns vergassen. Vor uns stand die Silberdose mit Zigaretten, und eine Flasche mit gutem Trunk war auch in der Nähe. Nach einer Weile sagte der Freund: "Entschuldige, was darf ich dir anbieten?", und schob mir die Zigaretten entgegen. Ich nahm mir, und er gab mir Feuer. Als der Rauch sich im Zimmer verlor, fiel mir auf, dass er nicht rauchte, was er doch sonst immer getan hatte und sogar viel mehr als ich. "Was ist mit dir?", fragte ich, "Rauchst du nicht?" "Nein", antwortete er ruhig, "es ist Fastenzeit." Einen Augenblick lang schoss mir die Frage durch den Kopf, ob er wohl zur römischen Kirche übergetreten sei, aber ich wusste, dass das nicht der Fall war. Auf mein etwas erstauntes Gesicht hin erklärte er mir sein Verhalten. "Ich habe nachgedacht", sagte er, "was Fastenzeit für uns evangelische Christen bedeuten könnte. Ich habe die Antwort in dem Worte Nachfolge gefunden. Das ist, was uns weithin fehlt. Wir brauchen Menschen, die Ernst mit dem machen, was sie sagen und hören, wenn sie in die Kirche gehen. Wir brauchen solche, die etwas davon spüren lassen, dass sie mit Christus gehen können. Etwas aufgeben, was mir sonst Vergnügen bereitet, wenigstens für die Fastenzeit - und es aufgeben für Christus, damit ich mich an ihn und seinen Weg erinnern lasse. Die Freiheit gewinnen, es um seinetwillen lassen zu können, das scheint mir der Sinn der Fastenzeit für uns zu sein." Ich musste ihm innerlich recht geben und danke es ihm, dass ich jetzt lieber ,.Fas-tenzeit" sage als "Passionszeit".

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 14 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.04.2000

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