Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
Kreuzweg IV
In Krisenzeiten und Umbruchszeiten muss man aufpassen, dass nicht alles platt gemacht wird. Die siebente Station sieht aus, als ob hier bergeweise ausgemusterte und verschrottete Maschinenteile abgekippt sind. Der Betrachter muss sehr genau hinschauen, um zu erkennen, dass unter diesem Schrott noch ein Mensch liegt. Ist es der Schrott demontierter Hochöfen von der Oder oder von der Ruhr? Immer wenn Probleme unter einseitigem Blickwinkel gelöst werden, bleiben Menschen auf der Strecke. Unser Kreuzwegschnitzer hat dieser Station vom zweiten Fall Jesu die Worte beigegeben: "Jesus bricht unter der Last der Sünden der Menschen zusammen, die meinen, durch Gewalt könne alles geregelt werden."
Was tut Jesus auf dem Bild dieser Kreuzwegstation in Eisenhüttenstadt? Es sieht zunächst einmal so aus, als ob er gar nichts mehr tun könne. Wer unter dem Schutt der Weltgeschichte liegt, hat keine Chancen mehr, irgendetwas zu tun. Beim zweiten Hinsehen erkenne ich, dass der am Boden liegende Herr doch etwas tut. Er stemmt sich unter das Kreuz, damit dieses Kreuz die Berge menschlichen Schutts und Schrotts abfängt. Wir sind auch da noch getragen, wo wir selbst nur noch Chaos zustande bringen. Wir sind auch da noch gehalten, wo die kühnen Konstruktionen unserer menschlichen Klugheit durch unser eigenes Unvermögen zu Schrott werden. Die Gewalt kann nur potemkinsche Dörfer mit Fassaden von Glück und Wohlstand errichten. Das Kreuz ist der Baustoff für die Neue Stadt, das Himmlische Jerusalem. Es bedarf allerdings eines sehr tapferen Glaubens, um im Kreuz Jesu und in meinem eigenen Kreuz zu erkennen, dass die Erde in Himmel verwandelt wird . Hier auf dieser Station vom zweiten Fall ist das in einer Geste Jesu zu erkennen. Der auf dem Boden liegende Herr greift mit beiden Händen in die Erde unter ihm. Auch wenn wir Menschen durch Gewalt und Unüberlegtheit, durch Sünde und Versagen die Erde in einen Schuttabladeplatz verwandeln, lässt er sie nicht los. Hier in dieser Darstellung des fallenden Jesus sitzen die Balken des Kreuzes auf der Erde an. Diese geschundene und zum Schrottplatz gemachte Erde bleibt nicht unerlöst zurück. Wenn sie in den Kreuzweg hineingenommen ist, wird der Herr sie festhalten, damit sie auch erlöst wird. Die Balken des Kreuzes sind nicht vom Schutt und Schrott geknickt. Sie sind stärker als alle Gewalt und Vernichtung. Sie zeigen zum Himmel.
Klaus Weyers
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.04.2000