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Aus der Region

Hilfe zum Überleben: Brot und Tee

Caritas in Omsk

Enge im Caritas-Keller in der Omsker InnenstadtFünf Jahre ist es her, dass die Franziskanerin Maria Elisabeth aus Erfurt gemeinsam mit vier Schwestern von der Kongregation der Missionarinnen Christi in München in die sibirische Metropole Omsk ging. Fünf Jahre, in denen sich die Lebenssituation für viele Menschen der Millionenstadt und in der Region ständig verschlechtert hat.

"Als wir im Mai 1995 nach Sibirien aufbrachen, haben wir mit Not gerechnet. Dass aber normale Familien nicht genug zum Essen haben würden, haben wir nicht erwartet", sagt Schwester Maria Elisabeth, die Caritas-Direktorin in der südwestsibirischen Stadt ist. Von den 1,3 Millionen Bewohnern leben über eine Million unter dem Existenzminimum, hat die Caritas-Chefin von Verantwortlichen in der Stadt erfahren. "Existenzminimum" meint, dass sich Menschen normal ernähren, kleiden, ihre Wohnungsmiete bezahlen und sich gelegentlich einen Theaterbesuch leisten können. Doch genau dies könnten die allermeisten Bewohner der Stadt nicht.

Zu Zeiten der Sowjetunion war Omsk von der Rüstungsindustrie geprägt. Heute sind viele Menschen arbeitslos. Haben sie Arbeit, erhalten sie nicht selten ihren Lohn unregelmäßig oder gar nicht. Die Familien mancher Firmenchefs hingegen leben im teuren Ausland, die Unternehmer fahren schicke Autos. Schwester Maria Elisabeth: "Es ist schwer für die Menschen. Die Mittel- und Aussichtslosigkeit und die Gewohnheit, dass im Land viel Alkohol getrunken wird, treibt viele der Familien in den Ruin. Gehörte es unter Stalin zum guten Stil, Alkohol zu trinken, spiegelt sich heute darin auch ein Sinnproblem", ist die 40-jährige Ordensfrau überzeugt.

Maria Elisabeth Jakubowitz und ihre Mitschwestern versuchen zu helfen, wo es nur geht. "Im vergangenen Herbst", erzählt die Franziskanerin, "kam eine Mutter verzweifelt zu mir und berichtete, sie lebe mit ihren drei Kindern im Alter von elf, zwölf und 13 Jahren allein und wisse nicht mehr, wie es weitergehen soll. Sie hatte bisher für eine Schule Schreibarbeiten übernommen, brauchte deshalb für ihre Kinder nichts in den Schulfonds einzahlen. Mit der Maschine konnte sie auch noch für andere Leute Schreibarbeiten machen und so etwas für die Familie verdienen. Doch nun seien die Lehrer, für die sie gearbeitet habe, gekündigt und die Schreibmaschine abtransportiert worden. "Ich habe der Frau für eine gewisse Zeit ein Lebensmittelpaket für vier Personen pro Monat zugesagt. Sie und die Kinder waren so dankbar, dass die zwölfjährige Tochter und ihr elfjähriger Bruder regelmäßig zu uns gekommen sind und 45 kleine Plüschtiere gebastelt haben, die es im Geschäft nicht schöner gibt. Die Mutter wird im Caritas-Sozialzentrum einen Computerkurs mitmachen, vielleicht hat sie dann eine Chance auf dem Arbeitsmarkt."

Lebensmittelpakete wie für diese Mutter und ihre Kinder hat das Omsker Caritas-Sozialzentrum 1999 insgesamt 20 777 Mal (!) vor allem in den fünf Stadtbezirken der Millionenstadt, aber auch im Verwaltungsgebiet Omsk (fast so groß wie die Bundesrepublik) ausgegeben. "Wir fragen die Hilfesuchenden nicht, ob sie getauft sind oder welcher Nationalität sie angehören", sagt die Caritas-Chefin. "Wer ein Lebensmittelpaket, Kleidung oder Schuhe von der Caritas bekommen will, muss aber einen Schein vom Sozialamt vorlegen, der die Bedürftigkeit nachweist. Wir arbeiten gut mit dem Sozialamt zusammen."

Da immer mehr Hilfe nötig wurde und die zwei Zimmer der Anfangszeit nicht mehr ausreichten, bekam die Caritas 1997 einen 300 Quadratmeter großen Keller in der Omsker Innenstadt in der Puschkinstraße zugewiesen: Platz für die Kleiderkammer, die Lebensmittelsäcke und vorbereiteten Lebensmittelpakete, die Suppenküche. Doch bereits im Winter 1998/99 platzte auch dieses Quartier aus allen Nähten: Da Lebensmittel wie Reis, Mehl, Zucker im Großhandel zu bekommen sind, werden sie in Säcken gekauft und müssen portioniert werden. So ein Lebensmittelpaket für einen Monat enthält je ein Kilo Mehl, Zucker, Reis, Grieß, Erbsen, Buchweizen, einen halben Liter Pflanzenöl und eine Packung Multivitamin-Tabletten für Kinder. Die Zuteilung erfolgt per Familienmitglied. Doch für die Portionierung ist Platz notwendig. Genauso brauchen Kleidung, Schuhe, die besonders auf den Winter hin gesammelt werden, Lagerraum. Und die Sozialarbeit der Schwestern mit Kindern, jungen Mädchen und Müttern benötigt ebenfalls Zimmer.

So haben die beiden Gemeinschaften der in Omsk tätigen Schwestern im Sommer 1999 ein dreistöckiges ehemaliges Näherei-Gebäude gekauft. Nachdem das Dach repariert, eine Heizung eingebaut und auch eine Garage für Ambulanzwagen und LKW der Caritas hergerichtet war, konnten die Vorbereitungen für die Winterhilfe in ordentlichen Räumen getroffen werden. Zudem bietet das Gebäude Platz für Seminare zur Schulung der insgesamt 36 voll- und teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter, für die kleine Kinderbibliothek und anderes. Vieles an dem Gebäude muss aber noch saniert werden.

Mit Hilfe eines Ambulanzwagens bietet das Sozialzentrum an drei Stellen der Stadt eine medizinische Grundbetreuung an. Daneben werden vor Ort Tee, Brötchen und Schmalzbrote für Bedürftige ausgegeben. 1999 wurden 189 918 (!) solcher Portionen kostenlos ausgeteilt. Der Herstellungs- und Beschaffungspreis für einen Becher Tee und ein Schmalzbrot beträgt umgerechnet 15 Pfennige! Die medizinische Hilfe wurde von 2231 Personen, darunter vor allem in der Nähe des Hauptbahnhofes von Obdachlosen und Familien ohne Wohnberechtigung für die Stadt in Anspruch genommen.

Zur sonntäglichen Eucharistiefeier in Omsk, wo 1997 eine neue römisch-katholische Kirche eingeweiht werden konnte, kommen zwischen 70 und 120 Gottesdienstbesucher. In den Städten und Dörfern des Oblasts Omsk leben Deutschstämmige, deren Vorfahren schon von Katharina der Großen (1729 -1796) ins Land geholt wurden. Andere Deutschstämmige stammen aus der Wolgaregion und wurden unter Stalin hierher zwangsumgesiedelt. Viele wandern nach Deutschland aus. Andererseits rückten katholische Polnischstämmige aus Kasachstan nach, erzählt die Franziskanerin, weil die Lebensbedingungen dort offensichtlich noch schlechter seien. Zur katholischen Pfarrei in Omsk gehören etliche Außenstellen im Oblast Omsk. Die Hilfe der Caritas wird auch in den ländlichen Gebieten von Mitgliedern der Gemeinden organisiert. "Wir haben sehr aktive Helfergruppen", erzählt Maria Elisabeth. Die Gruppe einer Außenstation versorgt immer zwei oder drei umliegende Ortschaften mit. "Die Caritas ist eine Brücke, über die die Menschen mit der Kirche in Berührung kommen und erleben: Kirche ist ganz anders, als die Kommunisten behauptet haben", sagt die Ordensfau.

1998 und 1999 wurde wegen Tro-ckenheit nur wenig geerntet. 1999 kam noch eine Heuschreckenplage hinzu. "Die Leute haben aus Hunger das Saatgetreide und die Saatkartoffeln aufgegessen und auch Zuchtvieh geschlachtet", erzählt Schwester Maria Elisabeth. Nun mangelt es an Saatgut und Tieren für die Zucht und an Geld, Saat und Tiere zu kaufen." Kleine Landwirte habe es schwer, erzählt die Schwester. In den aus den Kolchosen entstandenen Genossenschaften ist oft der ehemalige Kolchosvorsitzende der Hauptaktionär, der sich die besten Felder gesichert hat. Für die kleinen Bauern bleibt nur minderwertiges Land. Oder: Die Traktoren sind alt. Doch auch um einen solchen Traktor zu kaufen, haben sich einzelne hoch verschuldet. Um dann Saatgetreide kaufen zu können, müssen sie weitere Kredite aufnehmen. Wenn dann keine gute Ernte eingebracht werden kann, haben sie kein Geld, die Schulden zurückzuzahlen, und nichts zu essen. Schwester Maria Elisabeth: "Im Westen ist immer wieder zu hören: ,Warum machen sich denn nicht mehr Leute selbstständig ...?' Das ist leicht gesagt!"

In Omsk gibt es ein paar kleinere Betriebe, berichtet Schwester Maria Elisabeth. Fleischverarbeitung, eine Getränkefabrik. Etliche Einwohner arbeiteten im Handel, die westlich geprägten Waren jedoch stammen aus China, Taiwan, der Türkei, Italien und sind viel zu teuer, als dass sie die Leute kaufen könnten. "Teilweise wünschen sich die Menschen das alte sozialistische System zurück", berichtet die Franziskanerin. "Es kommt nicht selten vor, dass Kinder nicht in die Schule gehen, weil sie nichts zum Anziehen haben. Bei Minus 25 Grad kann man ein Kind nicht ohne warme Kleidung auf die Straße schi-cken. Sind die Kinder in der Schule, haben sie keine Hefte", so die Schwes-ter. "Die Unzufriedenheit wächst. Es ist schon öfter vorgekommen, dass Lehrer gestreikt haben. - Früher hat jeder nach dem Schulabschluss zumindest irgendeine Berufsausbildung bekommen. Jetzt sind die meisten Ausbildungs- und auch Studienplätze gebührenpflichtig."

Es fehlt an allem: In den Krankenhäusern gibt es keine Bettwäsche, keine Medikamente. Wenn jemand ins Krankenhaus muss, bemüht sich das Personal zwar, eine Erstversorgung zu sichern. Alles, was dann aber nötig ist an Wäsche, Essen, Medikamenten, müssen die Patienten und ihre Angehörigen selbst mitbringen. Dementsprechend verschlechtert sich der gesundheitliche Zustand der Bevölkerung.

"Im Herbst kam eine Frau in mein Büro und weinte", erzählt Maria Elisabeth. "Sie erzählte: Meine Tochter bringt mir einmal im Jahr ein Baby, dann verschwindet sie wieder. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhält. Ich habe drei kleine Enkelkinder im Alter von zweieinhalb, eineinhalb Jahren und ein zwei Monate altes Kind. Ich habe nichts mehr zu essen für die Kinder. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll." Für ein paar Monate bekommt sie jetzt ein Lebensmittelpaket, so die Franziskanerin. "Die Frau hat versprochen, jeden Morgen für die Leute in Deutschland zu beten."

Eckhard Pohl

Wer die Arbeit von Schwester Maria Elisabeth unterstützen will, kann auf folgendes Konto überweisen: Armen- Schwestern vom heiligen Franziskus, Konto: 5000 716 016, Bankleitzahl 370 601 93 bei der Pax-Bank Aachen, Kennwort "Spendenkonto Rußland". Wer eine Spendenquittung benötigt, bitte auf Überweisungsträger Name und Anschrift angeben.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.04.2000

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