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Bistum Görlitz

Wenn einer Hilfe braucht,...

Kirchenasyl in Senftenberg

Pfarrer Thomas Besch (links) beherbergt den Algerier Abdel Kader SchulzeSenftenberg - Ein Kleinbus vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg fährt auf dem Senftenberger Pfarrhof vor. Drei Männer steigen aus. Schnell haben sie ihre Gerätschaften ausgepackt: Ein Mikrofon mit Tonangel, Kamera, Stativ und ein Ton-Aufnahmeapparat. Sie schauen sich um. Dann gehen sie zielgerichtet auf den Spielplatz, gleich neben dem Pfarrhaus, suchen einen geeigneten Platz, bauen die Kamera auf, besprechen den Bildausschnitt. Ein Stück von der Backstein-Kirche soll im Hintergrund sichtbar sein. Vorne im Bild - ganz wichtig - soll man den Mann sehen, der seit mehr als einer halben Stunde auf einer Bank am Rand des Spielplatzes sitzt. Wegen ihm, Abdel Kader Schulze geben sich seit Tagen Journalisten von Zeitung, Rundfunk und Fernsehen im Senftenberger Pfarrhaus die Klinke in die Hand.

Der 29-jährige Algerier hat beim Senftenberger Pfarrer Thomas Besch Schutz gesucht. Im Pfarrhaus ist er seit Mittwoch dem 29. März - dem Tag, an dem er aufgefordert wurde auszureisen; dem selben Tag, an dem seine Frau, eine Senftenbergerin, den gemeinsamen Sohn Zamir Samuel auf die Welt brachte. Die zuständige Ausländerbehörde des Oberspreewald-Lausitz-Kreises weist darauf hin, dass Herr Schulze - wie er nach seiner Hochzeit am 20. März diesen Jahres heißt - nach Algerien reisen muss, um dort einen gültigen Pass zu beantragen. Mit diesem könne er dann einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen und wieder nach Deutschland einreisen.

Doch Abdel Kader Schulze hat Angst. Er fürchtet Verfolgung in Algerien, weiß nicht, ob man ihn nach Deutschland zurück lässt. Eine strittige Frage, die auch Pfarrer Besch nicht beantworten kann. Dass er dem jungen Algerier hilft, war für ihn trotzdem klar: "Es war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Wenn einer kommt und Hilfe braucht, dann muss ich helfen." Seine Meinung steht fest. Auch jetzt, nachdem er sich von verschiedenen Seiten Informationen eingeholt hat - vom Flüchtlingsrat, von der zuständigen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, von Rechtsanwälten und der Ausländerbehörde. Schulze wohnt mit im Pfarrhaus. Es gibt gemeinsame Mahlzeiten. Demnächst will Schulze auch mal kochen - arabisch. Seine Ehefrau und der kleine Samuel dürfen kommen, wann immer sie wollen. Sie sind jeden Tag im Pfarrhaus. Auch rechtlich unterstützt Pfarrer Besch Abdel Kader Schulze. Alle wichtigen Informationen und den Verhandlungsstand erklärt er ihm. Zwar kann der Algerier Deutsch sprechen, doch die juristischen Begriffe sind schwierig. Gemeinsam mit einem Rechtsanwalt versucht Pfarrer Besch, die rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Eines ist ihm dabei jedoch wichtig: "Ich möchte ihm keine Entscheidungen vorgeben, ihn zu nichts drängen. Er kann sich hier frei bewegen."

Seit dem Wochenende weiß Besch, dass die Behörde bis zum 6. Mai eine Kulanz-Frist einräumt und Schulze bis dahin nicht festnimmt. Bis zu diesem Termin befassen sich das Oberverwaltungsgericht in Frankfurt und der Brandenburger Petitionsausschuss mit dem Fall. Auch mit der algerischen Botschaft gibt es Verhandlungen.

Doch die Vorgehensweise des Pfarrers - für ihn eine "Gewissensentscheidung" - ist umstritten. Schließlich begibt er sich mit einem Fuß auf illegales Gebiet. Das Kirchenasyl als rechtsfreien Raum gibt es nicht mehr. "Wir sind dafür, dass Herr Schulze mit seiner Ehefrau und dem Kind als Familie zusammen leben kann", räumt Generalvikar Hubertus Zomack ein, "aber bitte legal und nicht durch illegalen Druck. Gesetze sind von allen einzuhalten, auch von einem Pfarrer." Eine rechtskräftige Anordnung der Ausweisung Schulzes müsste Pfarrer Besch respektieren. Die Vollziehung der Anordnung dürfe er nicht behindern. Zudem betont Zomack, dass Besch zuerst als Privatperson handele und nicht als offizieller Vertreter der Kirche. "Wenn Pfarrer Besch es für richtig hält, muss er das tun - aber in seiner Wohnung."

Auch Besch ist die Illegalität seiner Hilfe nicht angenehm, er hält es aber für wichtig, die Vorschriften nicht pauschal zu sehen, sondern den Einzelfall zu beachten. "Es geht ja nicht um irgendwas, sondern um eine Familie, die in ihrer Existenz bedroht ist." Er stellt klar: "Ich möchte Herrn Schulze Beihilfe zum legalen Aufenthalt geben."

Den Gegensatz wollen Besch und Ordinariat jedoch nicht hochspielen. Nach wie vor sind sie telefonisch im Gespräch. Gespalten ist die Meinung auch innerhalb der Gemeinde. Unbestritten ist der Fall Gesprächsthema Nummer eins. Vergangenen Sonntag hat Besch die Angelegenheit auch in der Predigt angesprochen. Ein Teil der Gottesdienstbesucher gab daraufhin Beifall. Viele andere zweifeln jedoch an der illegalen Form der "Beherbergung". Gleich als Schulz um den Schutz der Kirche bat, hatte Pfarrer Besch den Kirchenvorstand und den Pfarrgemeinderat einberufen. Eine gemeinsame Erklärung gaben die Gremien noch nicht heraus. Zu diesem Zeitpunkt fehlten ihnen noch viele Informationen. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend im Bistum Görlitz erklärte, der bürokratische Umweg mute "ausgesprochen umständlich" und nervenaufreibend an. Daneben rief er alle Beteiligten zu Besonnenheit und Weitsicht auf. Auch Pfarrer Besch ist es wichtig, gelassen zu bleiben und "nicht überstürzt zu reagieren". Juliane Schmidt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.04.2000

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