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Jesus wird ans Kreuz genagelt

Kreuzweg V

Jesus wird seiner letzten Habe beraubtDie zehnte und elfte Station des Eisenhüttenstädter Kreuzweges sind aus einem Block geschnitzt: Jesus wird seiner Kleider beraubt und Jesus wird ans Kreuz genagelt. Die Szenen verbreiten eine merkwürdige Unruhe und Hektik. Es ist, als ob die ausführenden Organe schnell noch die Unannehmlichkeiten der Hinrichtung zu Ende bringen wollten, damit dann endlich Feierabend wird. Gesichter sind nicht zu erkennen. Die Auftraggeber halten sich abseits und verdeckt. Der Künstler deutet diese beiden Stationen so: "Mit Brutalität und Gier nach Besitz wird Jesus seiner letzten Habe beraubt. Die Menschen ergötzen sich an seiner Nacktheit. Man zankt und würfelt um das letzte Hab und Gut. Mit Gewalt wird auch heute Menschen ihr Eigentum genommen Jugoslawien, Angola, Lateinamerika. Frauen, Mädchen, Kinder werden sexuell missbraucht und ausgebeutet." Das ist die Station der Kleiderberaubung. Zur Annagelung Jesu sagt er: "Mit Emsigkeit wird ein unschuldiger Mensch ans Kreuz genagelt. Auch hier verstecken sich die Täter und wollen nicht erkannt werden. Sie haben vielleicht doch ein schlechtes Gewissen. Oder ist es Angst? Denn überall stehen Spitzel, die den Mächtigen zuarbeiten."

Jesus wird ans Kreuz genageltDie Stationen des Eisenhüttenstädter Kreuzweges sind nicht auf dem Goldgrund einer fernen, verklärten Geschichte gestaltet worden. Kreuzweg ist Weg durch unsere Tage. Jesus Christus, der den Kreuzweg für uns ging, ist nicht von vorgestern. Entblößung und Annagelung gibt es zu allen Zeiten. Diktaturen verwehren es dem Menschen, in Würde zu sterben. Aber tun das nur Diktaturen? Auf der Darstellung der zehnten Station reißen Soldaten dem Herrn die Kleider vom Leibe. Aber tun nicht die Massenmedien in Bild und Wort diese Schamlosigkeit mit noch größerer Perfektion?

Die Station von der Kleiderberaubung und die Station von der Kreuzannagelung sind in einer Darstellung gestaltet. Aber zwischen der Entblößung und der Annagelung klafft ein breiter Riss im Holz. Hier ist angedeutet, was die Heilige Schrift vom Tode Jesu sagt: "Da riss der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte und die Felsen spalteten sich." So sagt es Matthäus. Wir leben nicht auf einer heilen Erde und in einer paradiesischen Welt. Im Kreuzweg des Herrn wurde sichtbar, dass die Spaltung, der Riss, das Zerbrochensein durch die Welt geht. Der Mensch kann entblößen, annageln, spalten. Heilen kann er nicht.

Klaus Weyers

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.04.2000

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