Bücher haben es in sich
Pater Damian
Ein Bekannter von mir hatte sich seine Wohnung neu eingerichtet. Im Wohnzimmer stand ein schönes Bücherregal, gefüllt mit Ausgaben von Klassikern und mit den Bestsellern der letzten Jahre. Die Bände waren ihm von einem Buchdienst ins Haus geliefert worden. Im Gespräch stellte ich denn fest, dass er kaum eines der Bücher kannte und auch nicht die Absicht hatte, sich ans Lesen seiner Schätze zu machen. Bücher als Dekoration.
Ganz anders handelte der chinesische Kaiser Taitsung in der Sung Dynastie. Er beauftragte eine Gruppe von Gelehrten, eine große Enzyklopädie mit tausend Bänden, nach fünfundfünzig Fachgebieten geordnet, herauszugeben. Und der Kaiser nahm sich vor: Ich will jeden Tag einen oder zwei Bände lesen. Einige seiner Beamten meinten, der Kaiser hätte doch so viel andere Dinge zu erledigen und keine Zeit und Energie für die Lektüre. Darauf der Kaiser: "Ich habe großes Interesse am Lesen, und ich finde die Lektüre immer nützlich."
Wenn ein Kaiser sich die Zeit zum Lesen nimmt, dann ist das Argument so vieler Zeitgenossen recht schwach, wenn sie sagen: "Ich habe keine Zeit zum Lesen!" Ein geschlossenes Buch bringt in der Tat keinen Nutzen, auch wenn Sammler seltener und alter Bücher materielle Werte anhäufen. Ein Buch will gelesen sein. So kann man auch den Werbeslogan "Bücher haben es in sich" zunächst wörtlich nehmen. Und dann: Bücher können Menschen verändern und umkehren lassen, sie können den Lauf der Welt steuern und haben es getan. Das gilt in besonderem Maß von der Bibel. Aber nur, wenn sie aus dem Regal genommen und gelesen wird. Wer das Wort der Bibel aufnimmt wie die Erde den Regen, der erfährt seine wirksame und verwandelnde Kraft
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.04.2000