Netzwerke und Leitbilder schaffen
Katholische Akademie Dresden
Dresden (tg) - Die Kirche kann die Familie in den ostdeutschen Bundesländern am wirksamsten durch die Schaffung von Netzwerken und ein vorgelebtes Leitbild stärken. Diese Ansicht vertrat der Rektor der Theologischen Fakultät Erfurt, Professor Andreas Wollbold, bei einer Veranstaltung der Katholischen Akademie in Dresden.
Die Kirche müsse den Familien vor allem mit niedrigschwelligen Angeboten entgegenkommen, sagte Wollbold in seinem Vortrag. Pfarrgemeinden eigneten sich zur Knüpfung von Netzwerken weniger, weil sie vielfach zu fest gefügt seien und damit zu geschlossen auf Außenstehende wirkten. Bessere Möglichkeiten hingegen seien beispielsweise Krabbelgruppen, bei denen Mütter in Kontakt miteinander kommen. Auch über musische Freizeitaktivitäten, über die Sozialarbeit der Caritas, auch über die Ehe-, Familie- und Lebensberatung könnten Verbindungen über die Familie hinaus geschaffen werden. Nötig seien offene und anregende Angebote, eine Freiräume eröffnende Seelsorge. Die Menschen müssten erkennen, dass die Kirche für ihre Nöte da ist. Mission hingegen stoße bei vielen Ostdeutschen auf Ablehnung. Aufgrund ihrer DDR-Erfahrung hätten sie Angst vor ideologischer Vereinnahmung.
Untersuchungen hätten gezeigt, dass im Osten Deutschlands nur etwa zwölf Prozent der Personen, zu denen Familien Beziehungen unterhalten, keine Verwandten seien, so Wollbold. Im Schnitt umfasse der Personenkreis, den ostdeutsche Familien als verlässlich betrachten, sieben Personen.
Als besonders kritisch stelle sich die Situation nach dem Umzug einer Familie an einen anderen Ort dar. Häufig falle es ihr dann sehr schwer, neue Kontakte zu finden. In diesen Fällen komme Netzwerken eine besonders große Bedeutung zu. Ohne Unterstützung durch derartige Netzwerke seien Familien überfordert.
Zwar liege Familie im Trend, aber der Kirche werde zu wenig Hilfreiches zugetraut, meinte Wollbold. "Ihre Ideale scheinen zu wenig lebbar." Daher sei das gelebte Zeugnis von Getauften wichtig. Entscheidend sei für viele Nicht-Christen, welche Familien- und Sonntagskultur Christen vorleben, ob sie traditionelle oder moderne Modelle im Zusammenleben von Mann und Frau praktizieren oder wie sie mit Schicksalsschlägen umgehen. Die Frage sei: "Regt das, was Christen leben, an oder nur auf?"
Die Dresdner Sozialpädagogin Dorothea Mendt von der Evangelischen Erwachsenenbildung forderte von der Kirche, ihren großen Einfluss für die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine kinderfreundliche Gesellschaft geltend zu machen. Zudem dürfe die Kirche Geschiedene und ohne Trauschein zusammenlebende Paare nicht ausgrenzen, sagte sie in ihrem Vortrag. Menschen außerhalb der Kirche müssten durch Angebote für Familien in Krisensituationen angesprochen werden. Diese Angebote sollten frei von Vorbedingungen sein.
Die Situation für Eltern mit Kindern sei nach der Wende schwerer geworden, so Mendt. Die Ausgaben für Kinder seien sehr hoch, Berufstätigkeit und Erziehung seien heute kaum noch miteinander zu vereinbaren. "Wer Arbeit hat, hat nur noch wenig Zeit für die Familie. Dem kann man sich nur schwer entziehen."
In der Ehe bewahre einen auch der christliche Glaube nicht vor Problemen. Eher neigten christliche Ehepaare dazu, Probleme unter den Teppich zu kehren, meinte Dorothea Mendt. "Ich wünsche mir, dass das Umfeld so beschaffen ist, dass man rechtzeitig mit seinen Beziehungsproblemen zu anderen gehen kann."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.04.2000