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Aus der Region

Jugend vertraut Kirchen immer weniger

Shell-Studie

Berlin (tg) - Das Vertrauen von Jugendlichen in Ost und West in die Kirchen ist weiter geschwunden. Das geht aus der Ende März in Berlin veröffentlichten jüngsten Shell-Jugendstudie hervor, für die ein Forscher-Team 4546 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren befragte.

In der Skala der für junge Leute vertrauenswürdigen Institutionen rangieren die Kirchen an vorletzter Stelle vor den Parteien. Der Grund sei, dass die Jugendlichen Kirchen für "Jein-Organisationen" halten, meint der Berliner Sozialpädagoge und Mitverfasser der Studie, Richard Münchmeier. Sie beschreiben damit das Dilemma der Volkskirche: "Im Bemühen, es allen Seiten recht zu machen, bleibt der Standpunkt der Kirche unklar." Bei den Körperschaften wiede-rum, in denen sich Jugendliche bevorzugt organisieren, liegen kirchliche Jugendgruppen hinter Sportvereinen an zweiter Stelle. Das Bedürfnis, sich in Organisationen zu binden, sei jedoch gering. Herkömmliche religiöse Praktiken und Einstellungen befänden sich unter den Jugendlichen in beiden Teilen Deutschlands auf dem Rückzug, so Münchmeier. 13 Prozent der jungen Leute im Westen verstehen sich der Studie zufolge als konfessionslos. Vor 15 Jahren waren es nur sieben Prozent. Im Osten liegt der Anteil junger Leute ohne Kirchenzugehörigkeit mittlerweile bei 80 Prozent.

28 Prozent der Jugendlichen im Westen hatten bei der Befragung angegeben, dass sie beten. 1991 waren es noch 39 Prozent gewesen. Im Osten sank der Prozentsatz betender Jugendlicher im gleichen Zeitraum von 17 auf 11 Prozent. Den Gottesdienst besuchen 16 Prozent der befragten Jugendlichen im Westen. 1991 waren es 21 Prozent. In Ostdeutschland ging die Zahl jugendlicher Gottesdienstbesucher von zehn auf derzeit sieben Prozent zurück.

Gewandelt habe sich offenbar auch das Grundverständnis vom Beten, so Münchmeier: "Was wir noch im Kindergarten gelernt haben - Beten sei Zwiesprache mit Gott - das ist heutzutage exotisch geworden." Beten werde mittlerweile eher als eine Form des mutigen und wahrhaftigen Nachdenkens über sich praktiziert. "Offenbar gibt es unter den Jugendlichen ein Bedürfnis nach ernsthafter Begegnung mit sich selbst." Der Einzelne verlange sich dabei Rechenschaft ab in Entscheidungssituationen, die mit einer Kreuzung zu vergleichen seien. "Selbst Jugendliche, die sich als nicht religiös bezeichnen, beten gelegentlich."

Lediglich 37 Prozent der Mädchen und 29 Prozent der Jungen äußerten die Absicht, ihre Kinder religiös erziehen zu wollen. Hier deute sich ein Abwärtstrend an, der Folgen haben werde, sagte Münchmeier. Die Gesellschaft werde sich auf schwindendes Wissen und damit wachsenden Erklärungsbedarf bei christlichen Kulturgütern wie etwa einer Bachkantate oder gotischen Bildnissen einstellen müssen. "Wir stehen am Ende der christlichen Epoche in der Geschichte des Abendlandes."

Die Veränderung bestehe im Wesentlichen darin, dass sich Jugendliche immer weniger an kirchliche Dogmen oder Katechismen binden. Statt dessen werde sich bei ihnen eine "frei schwebende" Religiosität ausprägen. Bleiben werde der Glaube an eine bessere Welt als Ziel der Geschichte und an eine sinnhafte Existenz.

Wolle die Kirche Jugendlichen künftig religiöse Erlebnisse bieten, dürfe sie das "Gehäuse", den Ort, wo Religion identifizierbar bleibt, nicht aufgeben, betonte Münchmeier. Diese Orte und gemeinschaftlichen Rituale seien etwas Kostbares. "Sie entlas-ten vom Druck der Individualität."

Die Shell-AG beauftragt seit 1953 aller vier Jahre ein Wissenschaftler-Team, junge Leute hinsichtlich ihres Lebensgefühls, ihrer Zukunftzspläne und Wervorstellungen zu befragen. Die nun vorgelegte Untersuchung ist die 13. Studie dieser Art.

Die aktuelle Shell-Studie ist unter dem Titel "Jugend 2000" vom Verlag Leske & Budrich, Opladen, veröffentlicht. ISBN 3-8100-2579-8. Die beiden Bände mit insgesamt 900 Seiten kosten 29,80 Mark. Im Internet findet

sich die Studie unter

www.shell-jugend2000.de.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.04.2000

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