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Auf zwei Minuten

Macht und Ohnmacht des Wissens

Pater Damian

Pater Damian MeyerDie Redensart "Wissen ist Macht" bewahrheitet sich täglich: Wer mehr weiß und kann in beruflicher Hinsicht, hat Vorteile und kann mehr "machen". Wer einen Vorsprung an Informationen hat, hat größeren Einfluss und kann mehr bewegen. Und doch ist - wie bei den meisten Sprichwörtern - das Gegenteil auch richtig: Wissen ist oft ohnmächtig! Ein Wissender, vielleicht Wissenschaftler, tritt manchmal wie ein Rufer in der Wüste auf. Er weiß beispielsweise um die verheerenden Folgen der Umweltverschmutzung und -zerstörung und warnt. Aber man hört nicht auf ihn, weil es bei Industriezweigen, Politikern, verschiedenen Lobbys um handfeste Interessen geht.

Hier wird Macht gegen besseres Wissen ausgespielt, kurzfristiger Gewinn gegen schädliche Langzeitfolgen. Dasselbe trifft auch oft zu, wenn Ethiker und Moraltheologen auf für den Menschen gefährliche Trends und Entwicklungen hinweisen. Interessant ist, dass diese Zusammenhänge nicht neu sind, sondern schon den Alten einsichtig waren. Hier ein Text, der mehr als zweitausend Jahre alt ist: "Noch etwas anderes habe ich gesehen, ein treffendes Beispiel dafür, wie Wissen in dieser Welt eingeschätzt wird: Da war eine kleine Stadt mit nur wenigen Einwohnern. Ein mächtiger König rückte gegen sie an, schloss sie ein und ging mit Belagerungstürmen gegen ihre Mauern vor. In dieser Stadt lebte ein armer, aber sehr kluger Mann. Mit seiner Klugheit hätte er die Stadt retten können; doch niemand dachte an ihn. Und dann behauptet man: Wissen ist besser als Macht. Zugegeben, aber wenn einer arm ist, hält man ihn nicht für klug; darum hört keiner auf seine Worte. Es ist besser, auf den ruhigen Rat eines weisen Menschen zu hören als auf das unverständige Geschrei eines Obernarren. Wissen richtet etwas Besseres aus als Waffen - aber eine einzige falsche Entscheidung richtet alles Bessere zugrunde. Der Verfasser dieser Worte ist Kohelet, der biblische Prediger (Koh 9,13-18). Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.05.2000

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