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Bistum Erfurt

Steig nicht in ein fremdes Auto

Familientag

Mit Herz und Hand beim Singen dabeiDingelstädt (ep) - "Steig nicht in ein fremdes Auto! Gewalt an Kindern. (Wie) Können wir sie schützen?" So war ein Familientag überschrieben, zu dem am vergangenen Sonntag der Katholische Familienbund im Bistum Erfurt ins Familienzentrum Kerbscher Berg in Dingelstädt eingeladen hatte.

Nicht nur der Fremde von der Straße kann ein Kind missbrauchen. Nicht selten sind die Täter Familienmitglieder oder andere dem Opfer vertraute Personen. Dies machte Staatsanwältin Gabriele Decker im Rahmen einer Podiumsdiskussion deutlich, an der nach einem Familiengottesdienst zirka 70 Erwachsene teilnahmen, während ihre Kinder inzwischen spielten oder bastelten. "Gefährliche Täter bauen erst eine Beziehung zu ihrem Opfer auf", so die Staatsanwältin, die im Landgerichtsbezirk Erfurt für Gewaltdelikte in der Familie und für Sexualstraftaten zuständig ist. "Der Täter kann ein guter Bekannter oder Verwandter sein, der zu dem Kind zunächst zielbewusst eine emotionale Ebene aufbaut und sich dann an ihm vergreift. Solcher Missbrauch kann über Jahre gehen."

Kriminalisten gehen davon aus , dass in jeder vierten Familie Missbrauch vorkommt. Gerade in diesen Fällen sei eine juristische Aufklärung "unendlich viel komplizierter", sagte Frau Decker. Weil Eltern und Kinder die Familie schützen wollten, würden nicht selten Kinder die "Verantwortung übernehmen" und schweigen. Dies gehe manchmal über Generationen hinweg. Fachleute sprächen hier vom "Seelenmord am Kind".

Während Frau Decker und Thüringens Justizminister Andreas Birkmann (CDU), der ebenfalls nach Dingelstädt gekommen war, zur unbedingten Anzeige ermutigten, um neue Straftaten verhindern zu können, äußerte sich Gabriele Marske-Power in dieser Hinsicht zurückhaltender. Frau Marske-Power ist Psychologin beim Kinder- und Jugendschutzbund der Heiligenstädter Villa Lampe. "Stammt der Täter aus dem Familienbereich, sollte unbedingt Hilfe gesucht werden. Zu einer Anzeige raten wir allerdings nicht, weil dies zu einem ungeheueren psychischen Druck für das Opfer führt", sagte Frau Marske-Power. Zudem gebe es die Möglichkeit, nachträglich Anzeige zu erstatten. Demgegenüber verwiesen Staatsanwältin und Justizminister auf das Bemühen um eine schonende Behandlung des Opfers.

Frau Marske-Power berichtet von der Möglichkeit, missbrauchte Kinder und Jugendliche vorübergehend aus der Familie herauszunehmen, wenn der Täter nicht dazu bereit sei, was allerdings eine "zusätzliche Traumatisierung" für das Opfer bedeuten könne. Je höher der soziale Status des Täters im Vergleich zum Opfer sei, um so weniger würde den Angaben des Opfers geglaubt, so ihre traurige Erfahrung. Gute Erfahrungen macht die Psychologin hingegen mit Präventionsstunden in ersten bis vierten Klassen.

"Die beste Prävention ist es, so früh wie möglich mit den Kindern über die Missbrauchsgefahr zu reden", sagte Justizminister Birkmann. Besonders gefährdet seien Kinder aus sozial schwierigen Milieus. Kinder, die ein gesundes Selbstbewusstsein und ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben, sind besser davor geschützt, Opfer sexuellen Missbrauchs durch Fremde zu werden - dies hätten Täterbefragungen ergeben, sagte Frau Decker.

"Wenn ein Kind von vornhe-rein sagt: Das erzähle ich meiner Mutter, meiner Freundin / meinem Lehrer ... sind sie für den Täter gefährlich." Frau Decker weiter: "Machen Sie ihrem Kind deutlich, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt und man schlechte Geheimnisse nicht wahren muss! Hören Sie ihren Kindern jeden Tag zu, was sie in der Schule erlebt haben! Fragen Sie nach! Wenn Sie merken, dass das Kind etwas beschäftigt, fragen Sie auch später oder am nächsten Tag noch mal nach, am besten nebenbei, in der Küche, beim Abwaschen. Das Schlimme ist", so Frau Decker, "dass Kinder schnell denken, sie hätten die Situation des sexuellen Missbrauchs herbeigeführt, was die Täter den Kindern auch noch einreden nach dem Motto: ,Du wolltest das ja.'" Es ist gut, wenn die Kinder frühzeitig über ihren Körper Bescheid wissen, alle Körperteile benennen könnten und wissen, wo Grenzen sind, sagte Frau Decker.

Nach Angaben von Justizminister Andreas Birkmann gibt es allein im Freistaat Thüringen täglich durchschnittlich 23 Gewaltdelikte verschiedenster Art an Kindern und Jugendlichen bis zu 21 Jahren. Dies werfe selbstredend die Frage nach Präventivmaßnahmen auf, an denen sich Jugendhilfe, Polizei, Schule, Eltern ... beteiligen müssen. Gefragt sei aber auch die Courage jedes Einzelnen,bei entsprechenden Beobachtungen Anzeige zu erstatten.

Am Rande der Diskussion kamen auch andere Formen der Gewalt zur Sprache. Frau Marske-Power erlebt bei ihrer Arbeit immer wieder "innerlich stark verwarrloste" Kinder und Jugendliche. Kindern zuwenig Zuwendung und Hilfe für ihre Entwicklung zu geben, sei ebenfalls eine Form der Gewalt Erwachsener an Heranwachsenden, so die Psychologin. Für Justizminister Andreas Birkmann ist die von Kindern und Jugendlichen ausgeübte Gewalt nicht zuletzt "Ergebnis eines unkontrollierten, hemmungslosen Medienkonsums". "Was an Gewalt von Kindern und Jugendlichen verübt wird, hat in unmittelbarem Sinne etwas mit der Gewalt in Medien, Filmen und im Internet zu tun", sagte Birkmann. Insofern sei die so vermittelte Gewalt "genauso ein Anschlag auf die Seelen der Kinder".

Für Staatsanwältin Decker liegen die Grenzen der von Eltern an Kindern ausgeübten Gewalt eindeutig dort, wo Kinder mit Gegenständen geschlagen werden oder weil sie irgendetwas nicht richtig gemacht haben. Wenn Kinder hingegen austes-ten, wie weit sie gehen können und die Eltern provozieren, habe sie Verständnis für einen Klaps auf den Po, so Frau Becker.

Der Tag endete mit einem gemeinsamen Mittagessen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 20 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.05.2000

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