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Aus der Region

Werte mit kürzerer Halbwertszeit?

Erfurter Kreuzganggespräch

Alois Glück (CSU)Erfurt (ep) - "Wertorientierte Politik in dieser Zeit des Umbruchs und der Beliebigkeit." Unter dieser Überschrift stand am 4. Mai der erste Abend im Rahmen der Erfurter Kreuzganggespräche, die in diesem Jahr dem Thema "Werte mit kürzerer Halbwertszeit? Alte und neue Orte für die Frage nach Orientierung" gewidmet sind. Als Referenten konnte die Theologische Fakultät Erfurt und das Katholische Forum im Land Thüringen den Münchner CSU-Politiker Alois Glück (MdL) gewinnen, der auch Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist.

Alois Glück sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr, wenn es nicht wieder stärker gelingt, einen Wertekonsens in Deutschland zu etablieren. Als Basis dafür hält er das christliche Menschenbild für am besten geeignet. Dieses Menschenbild sei "als Orientierung für eine humane Welt von elementarer Bedeutung, wenn wir nicht in einer lebensgefährlichen Beliebigkeit enden wollen", sagte Glück vor zahlreichen Zuhörern in der Kiliani-Kapelle am Kreuzgang des Domes.

Der CSU-Politiker belegte seine Auffassung an verschiedenen Beispielen: Das christliche Menschenbild garantiert die Würde jedes Menschen unabhängig von seinen Leistungen. Insofern schließe es eine Diskussion über mehr oder weniger wertvolles Leben etwa bei behinderten Menschen aus, wie sie in Bezug auf neue Möglichkeiten der Präimplantations- und der pränatalen Diagnostik häufig geführt wird. Christliches Denken über den Menschen geht von der Gleichheit aller aus. Diese Überzeugung stehe gegen die um sich greifende Gewalt in der Gesellschaft. Denn "Gewalt entwickelt sich, wenn der andere als nicht gleichwertig betrachtet wird", ist Glück überzeugt. Aber auch hinsichtlich der Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung und das eigene Tun hält der Politiker christliche Werte für elementar, da der Mensch nach christlicher Auffassung eben nicht ausschließlich Produkt der Umwelt und seiner Gene sei. Insofern sei dringend eine Diskussion über den in vergangenen Jahren viel im Munde geführten Begriff der Selbstverwirklichung nötig, der vorwiegend nach dem Motto verstanden werde "Alle Freiheiten für mich, alle Pflichten für die anderen". Eine solche Debatte müsste Auswirkungen auf Erziehung und Bildung in der Schule, die Ausgestaltung des Sozialstaates und auf die Rechtspflege (Verantwortung für die eigene Tat) haben.

Und hier sieht der CSU-Mann auch Gestaltungsmöglichkeiten zumindest der Rahmenbedingungen durch die Politik, die er sonst in der Medienwelt eher begrenzt erlebt. So habe er angesichts eines fehlenden bildungspolitischen Leitbildes in Deutschland für den Freistaat Bayern eine Diskussion über Bildungsziele an den Schulen angestoßen mit der Absicht, nach einem solchen Leitbild zu suchen und die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein, Gegenseitigkeit (partnerschaftliches Miteinander) und Respekt voreinander bei den Heranwachsenden stärker zu fördern. Aber auch bezüglich eines notwendigen Engagements für die Mitmenschen - was nicht nur Opfer, sondern auch Chance zur eigenen Entfaltung sei - hält der katholische Politiker die christlichen Werte für notwendig. "Wir brauchen eine neue Kultur der Verantwortung anstelle der Unkultur der Beliebigkeit in Deutschland."

Dass die christliche Grundorientierung "für die Lebensbewältigung hilfreich" ist, müsse jedoch der wachsenden Zahl von Menschen, die den Kirchen distanziert gegenüberstehen,argumentativ kompetent und auf der Erfahrungsebene vermittelt werden. Doch hier liege ein großes Problem. "Dies ist eine Herausforderung, auf die wir in den kirchlichen Gruppierungen nicht eingestellt sind", so das ZdK-Mitglied, die es aber dringend anzunehmen gelte. Wie dies gerade in einer überwiegend nicht christlichen Welt wie in den neuen Bundesländern zu machen sei, wusste Glück auf Nachfrage nicht konkret zu sagen.

Hinsichtlich des christlichen Wertehorizonts gibt sich der CSU-Politiker konsequent: "Wer zu uns nach Deutschland kommt, muss im gesellschaftlichen Alltag die christlich abendländische Wertekultur anerkennen, egal, was er persönlich für weltanschauliche Ansichten hat." Doch diesbezüglich herrsche "bis weit in kirchliche Gruppen hinein" große Unsicherheit.

In den Parteien der Bundesrepublik sei im letzten Jahr eine Richtungs- und Grundsatzdebatte begonnen worden, konstatierte Glück. Das gelte für die CSU (Glück ist Vorsitzender der Grundsatzkommission der CSU), für die SPD, die CDU, die PDS. Für die Parteien mit dem "C" im Namen gebe es dabei noch zusätzlich die Frage, welche Rolle die christliche Orientierung angesichts schwindender christlicher Überzeugungen künftig in CSU und CDU noch spielen könne. "Wir müssen für unsere Partei ernsthaft darüber diskutieren. Noch schärfer als für die CSU stellt sich die Frage für die CDU", sagte Glück.

In der aktuellen Situation alles unterstütz werden, was das Gemeinschaftsleben der Menschen fördert und damit zu Zusammenhalt und Stabilität beiträgt. Dies gelte besonders für die Kommunalpolitik. Zudem möchte der CSU-Politiker wieder stärker das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre zum Zuge kommen sehen: "Wir brauchen Vorfahrt für die kleinere Einheit. Sind die Lebensverhältnisse überschaubar, schwindet die Anonymität und wächst die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen", so Glück. In überschaubaren Lebensverhältnissen orientierten sich die Menschen stärker aneinander als in der großen Masse.

"Wir brauchen die Fähigkeit, die Dinge weiterzuentwickeln, gerade auch als Christen", so Glück. "Wenn Christen die sind, die nur alte Strukturen verteidigen, dann werden wir in der Gesellschaft wenig Gestaltungsmöglichkeiten haben", mahnte der Katholik. "Die Wirkkraft der Christen von morgen und übermorgen wird nicht von den Zahlen abhängen, sondern davon, was sie einzubringen haben."

Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 21 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.05.2000

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