Harmonie aus Mystik und Politik
"Erfurter Vorträge"
Erfurt (pw) - Mystik und Politik sind für Henri Boulad (68) kein Gegensatz. Im Gegenteil: Das politische Engagement sei die "Krönung des mystischen Weges", meint der Jesuitenpater aus Ägypten, der zurzeit auf einer zweimonatigen Vortragstour durch Europa ist. In der Reihe der "Erfurter Vorträge" erläuterte Pater Boulad, was er unter "Mystik und Politik" versteht.
Vorträge in aller Welt und Bücher, die in vierzehn Sprachen übersetzt sind, davon elf ins Deutsche, haben Henri Boulad einem breiten Publikum bekannt gemacht. Er wurde 1931 in Ägypten geboren und ist Mitglied des Jesuitenordens. Nach seinen Studien im Libanon, in Frankreich und den USA entschied er sich gegen eine Universitätskarriere und kehrte 1967 in sein Heimatland zurück. Seitdem arbeitet Pater Boulard im pädagogischen, sozialen und seelsorglichen Bereich, davon allein zehn Jahre als Caritasdirektor von Ägypten. Die Not der Menschen hat ihn stets in Bewegung gehalten. In zahlreichen Projekten kämpft er bis heute gegen die Armut, die Verwahrlosung von Kindern, gegen Analphabetismus und Krankheiten wie die Lepra.
Und unermüdlich setzt sich Boulad dafür ein, die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zu beseitigen. Boulads Handeln entspricht seinem Verständnis von Mystik, die man, so sagt er, nicht mit außergewöhnlichen Phänomenen verwechseln dürfe. Vielmehr gehe es darum, das Herz für Gottes Geist zu öffnen und zu erkennen, was Gottes Plan für die Welt und die Geschichte sei. Nur wer bete, könne in den Geist Gottes eintauchen. "Beten heißt, sehen und fühlen wie Gott."
Führe dieses Sehen zum rechten Handeln, entstehe eine Harmonie zwischen Gott und dem Menschen. "Dann mündet die Mystik in die Aktion ein." Boulad versteht dieses Handeln als ein gemeinsames Handeln von Gott und Mensch. "Wenn Gott heute in der Welt tätig sein will, kann er es nicht ohne mich." Ich brauche dich, sage Gott zum Menschen und warte auf seine Zustimmung.
Es seien oft "gewöhnliche" Menschen, die sich Gottes Geist öffneten und Ungewöhnliches leisteten. Aber die Versuchung sei groß, sich dem gemeinsamen Handeln unter allerlei Vorwänden zu entziehen. "Schick doch meinen Bruder", sagten wir dann wie Mose bei seiner Berufung. Aber damit würden wir zu Zuschauern der Geschichte, warnt Boulad. "Wie die Welt aussieht, hängt davon ab, wie wir sie gestalten." Die Kraft dazu könnten wir aus dem Gebet schöpfen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.05.2000