Erfahrungen aus Osteuropa
Renovabis III
Dresden (mh) - Die Wünsche an die Menschen in Deutschland, die die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zur Renovabis-Eröffnung in Dresden aussprachen, spiegelten eines wider: Damit das Zusammenwachsen Europas gelingt, ist vieles nötig. An die religiöse Dimension erinnerte Bischof Clemens Pickel aus Südrussland: "Ich wünschen den Menschen hier, dass sie mal so richtig einbrechen - in ihre Seele und Gott wieder finden. Er ist nicht weit weg." Inge Talmatiene, Lehrerin aus Vilnius, richtete ihren Blick auf die junge Generation und wünschte sich, "dass sie offen für Neues sind, egal ob es aus Ost oder West kommt". "Andere Leute müssen das Recht haben, anders zu sein. Aber die einen und die anderen sind Menschen", unterstricht der russische Schriftsteller Daniil Granin. Und Harmut Kania, Caritasdirektor für Russland, appellierte: "Bei allen eigenen Sorgen vergesst nicht: Europa hört nicht an der deutschen Ostgrenze auf."
Die Podiumsdiskussion, die Renovabis und die Katholische Akademie Dresden zusammen durchführten, sollte einen Einblick in die gesellschaftlichen Aufbrüche im Osten geben. Aus verschiedenen Blickwinkeln berichteten die Teilnehmer über ihre entsprechende Erfahrungen: Bischof Pickel, der aus dem Bistums Dresden-Meißen stammt und seit zehn Jahren - zwei Jahre davon als Bischof - in Russland tätig ist, sagte, er sei wegen der geistlichen Not nach Russland gegangen. Er habe aber in dieser Hinsicht weniger bringen können, als er empfangen habe. Trotz der kommunistischen Unterdrückung hätten Menschen ihren Glauben über Jahrzehnte auch ohne Pfarrer und Eucharistiefeier durchgetragen. In religiöser Hinsicht brenne in Russland ein kleines Feuer. "Aber es ist kräftig!"
Der Oratorianer Hans-Friedrich Fischer, der von Leipzig aus nach Vilnius ging und dort als Rektor des Priesterseminars tätig ist, beschrieb die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau der kirchlichen Strukturen in Litauen: Inzwischen seien die sieben Bistümer wieder mit Bischöfen besetzt, und in vier Seminaren bereiten sich 230 Männer auf den Priesterberuf vor. Die Verantwortlichen der Kirche hätten sich mit ihrem Kurs eines Neubeginns im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils allerdings gegen Kräfte durchzusetzen, die eine Wiederherstellung der alten katholischen Kirche Litauens anstrebten. Besondere Bedeutung komme dem Aufbau von Strukturen der Laienarbeit zu.
Daniil Granin beschrieb das seelische Leiden vieler Menschen in Russland. "Die Menschen trauern, weil sie durch die gesellschaftlichen Veränderungen um ihre Zukunftsperspektive gebracht worden sind, für die sie jahrzehntelang gearbeitet haben. Sie sehen keinen Sinn mehr - für die Gesellschaft und für sich selbst." Hilfe sei deshalb sehr oft nicht in materieller Hinsicht nötig, sondern in seelischer: "Den Menschen muss ihr Glaube an das Leben und an ihre Möglichkeiten zurückgegeben werden." Und das sei schwieriger, als Geld oder Kleidung zu spenden. Zu kommunistischen Zeiten habe es in Russland Menschen gegeben, an die andere sich seelisch anlehnen konnten, sagte Granin und nannte als Beispiel den Physiker und Bürgerrechtler Andrei Sacharow. "Diese Persönlichkeiten gibt es heute nicht. Das ist ein Problem", denn die Menschen, besonders die Jugend bräuchten lebendige Beispiele.
Auf die Perspektivlosigkeit wies auch der aus dem Bistum Görlitz stammende Caritasdirektor von Russland, Hartmut Kania aus St. Petersburg, hin. Allerdings zeige die Erfahrung, die er bei der Caritasarbeit mache, auch, dass die russischen Menschen ein großes Kapital besitzen: die selbstlose Bereitschaft an der Not anderer etwas zu ändern. Er habe große Hoffnung für das russische Volk, "wenn wir in Europa so leben wie in einer Familie, in der es Schwächere und Stärkere gibt".
Hoffnung hat auch Hans-Friedrich Fischer: "Weil ich Hoffnung für dieses Land habe, bin ich dort", sagte er, obwohl er augenblicklich in politischer Hinsicht in Litauen keine Kraft sehe, die eine Vision für die Zukunft habe. In Perspektivlosigkeit will auch Bischof Pickel nicht verfallen - trotz der in Russland herrschenden unvorstellbaren materiellen Not, die er versuchte wenigstens ansatzweise zu beschreiben. Allerdings gestand er ein: "Wie es besser werden soll, weiß ich auch nicht."
Einen kleinen Beitrag, den Menschen neue Hoffnung zu geben, leistet die deutsche Hilfsaktion für Menschen in Mittel- und Osteuropa Renovabis. "Wir setzen mit unserer Hilfe dort an, wo Freiheit und Solidarität geübt werden", sagte deren stellvertretender Geschäftsführer Gerhard Albert. Allein im letzten Jahr hat Renovabis über 1200 Projekte in fast allen Ländern Mittel- und Osteuropas mit 70 Millionen Mark unterstützt. Allerdings gehe es beim Zusammenwachsen Europas nicht nur um ökonomische Fragen, sondern um menschliche Verbindungen, unterstrich Pater Eugen Hillengass, Renovabis-Geschäftsführer.
Dennoch ist die materielle Hilfe durch Renovabis unentbehrlich. Caritasdirektor Kania: "Renovabis schafft die Räume, in denen wir dann unsere Schritte gehen können." Und Bischof Pickel nutzte die Gelegenheit, für die materielle Hilfe zu danken. Ein besonderes Dankeschön ging dabei an die Menschen im östlichen Teil Deutschlands: "90 Prozent derer, die mir helfen, kommen aus den neuen Bundesländern."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.05.2000