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Aus der Region

Kardinal Vlk über Kommunismus und Kirche in Tschechien

Im Interview:

Kardinal Miloslaw Vlk im Tag des Herrn-Gespräch
Ostdeutschland und Tschechien sind die Regionen in Europa, in denen der Kommunismus im Kampf gegen den christlichen Glauben die größten Erfolge erzielt hat. Haben Sie, Herr Kardinal, angesichts dieses Befundes Hoffnung auf Neuevangelisierung?
Meine Antwort ist eindeutig: Ja. Könnte ich diese Frage nicht mit Ja beantworten, wäre ich kein Christ. Ich bin von Natur aus auch ein Optimist und ein Mensch der Hoffnung. Die Erfahrung sagt mir, dass der christliche Glaube in unseren Ländern Zukunft hat. Warum? Die Situation in unseren Ländern, in denen der christliche Glaube ganz tief am Boden liegt, ist ein guter Ausgangspunkt. Dort, wo katholische Christen ihren Glauben aus reiner Tradition leben, ist die Situation weit weniger günstig. Die Menschen von heute in einer säkularisierten Gesellschaft suchen nach Antworten auf ihre existentiellen Fragen. Darin besteht unsere Chance. Aber das ist auch ein Problem, denn die Menschen suchen eine echte Antwort, nicht Reden und Predigten, sondern das Zeugnis.
Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus sind zehn Jahre vergangen und die Kirchen leerer geworden. Angesichts Ihrer optimistischen Antwort: Macht die Kirche etwas falsch?
Der Kirchgang ist nicht der erste und wichtigste Maßstab der guten Situation und auch nicht das erste Ziel der Evangelisation. Mein Glaube an Christus ist der Grund für den Optimismus. Und eine Erfahrung aus der kommunistischen Zeit: Es ist die Erfahrung der kleinen Herde. Wir hatten alles verloren: Geld, Eigentum und Macht. Wir konnten uns nur auf Christus stützen. Die Erfahrung mit dem nahen Gott ist der Grund unserer Hoffnung.
Wie kann die Kirche auf die Menschen zugehen, die auf der Suche sind? In Ostdeutschland wird darüber viel nachgedacht, zum Beispiel über Alternativen zur Jugendweihe. Gibt es in Ihrer Kirche ähnliche Überlegungen?
Bei uns stehen wir vor einer anderen Situation. In der DDR haben die Kommunisten versucht, die christlichen Sakramente durch ihre eigenen zu ersetzen, zum Beispiel Firmung und Konfirmation durch die Jugendweihe. Das haben unsere Kommunisten nicht getan. Sie wollten, dass die Kirche in Vergessenheit gerät. Dazu haben sie Lügen und Unwahrheiten verbreitet. Diese Vorurteile sitzen teilweise bis heute tief in den Köpfen. Deshalb ist es unsere erste Aufgabe bei der Begegnung mit suchenden Menschen, diese Vorurteile abzubauen.
Welche Möglichkeiten haben Sie dafür?
Da sind zunächst die Medien. In ihnen sind wir als Kirche heute gut präsent. Die Menschen in unseren Ländern interessieren sich sehr für Glaubensfragen. Deshalb kann man darüber bei uns viel in den Zeitungen lesen und im Radio hören. Eine andere Möglichkeit sind unsere Schulen, angefangen von den Kindergärten bis zum Beispiel zur Journalisten-Ausbildung. Die kirchliche Jugendarbeit ist ein weiterer Weg. In Prag und anderen Diözesen gibt es inzwischen Jugendhäuser. Das sind Zentren, in denen junge Leute gemeinsam üben, aus dem christlichen Glauben zu leben.
Erreichen Sie damit auch Nichtchristen?
Ja. Wir haben beispielsweise zwei Schulen, in denen wir Lehrer ausbilden. Da sind nicht nur katholische Christen, sondern auch Christen anderer Konfession und Nichtgetaufte. Hier machen sie gute Erfahrungen, weil in diesen Schulen eine sehr große Offenheit untereinander herrscht. Und diese Erfahrung von Offenheit kann für Nichtgetaufte ein Anfang der Begegnung mit dem christlichen Glauben sein.
Ein anderes Beispiel sind die Kontakte zu Politikern auf kommunaler Ebene, von denen viele keine Christen sind. Bei fast jedem Pastoralbesuch in den Gemeinden meines Bistums habe ich mit dem Bürgermeister ein Gespräch. Häufig kommt er sogar zum Gottesdienst. In einer kleinen Stadt etwas südlich von Prag treffe ich mich einmal im Jahr mit den Kommunalpolitikern. Ein Ergebnis davon ist zum Beispiel, dass Kirche und Stadt vor einiger Zeit gemeinsam eine Drogenheilstätte eröffnet haben. Bei den Gesprächen mit Politikern sehe ich, dass sie sich nicht nur für wirtschaftliche oder politische Fragen interessieren, sondern auch für die geistliche Dimension der Gesellschaft.
Das klingt nach einem guten Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Bei der Diskussion um die Rückgabe kirchlichen Eigentums sieht das anders aus, oder?
Es gibt einen Unterschied zwischen der kommunalen Ebene und der Landespolitik, in der die Parteipolitik eine große Rolle spielt. Die Frage der Rückgabe kirchlichen Eigentums wurde von Anfang an auf höchster Ebene politisiert. Die Christliche Partei hatte die Rückgabe des Eigentums in ihrem Programm. Ihr Koalitionspartner, die Bürgerpartei unter Vaclav Klaus, hat das gebremst, um zu verhindern, dass die Christliche Partei an Einfluss gewinnt. Und wir als Kirche sind zwischen die Fronten geraten.
Eine wichtige Rolle in dieser Frage spielt das Erbe des Kommunismus, die Vorurteile, von denen ich sprach. Die Kommunisten haben gesagt: Die Kirche ist ein Verbündeter des Imperialismus. Sie ist gegen das Volk. Sie ist reich. Das sitzt tief - bis heute. Und wer nun der Kirche schaden will, braucht nur das Stichwort Eigentum zu nennen. Die Menschen bei uns denken nicht vom Standpunkt der Gerechtigkeit her, sie denken in Slogans: Es ist schlecht, wenn die Kirche ihr Eigentum zurückbekommt.
Ich will es konkret sagen: Wenn eine Partei die Kirche bestrafen wollte, müsste sie uns alle 3300 Gebäude zurückgeben, die wir vor der kommunistischen Zeit besaßen. Die nötigen Investitionen, um die Gebäude wieder herzurichten, könnten wir gar nicht leisten. Wir wollen 800 Gebäude zurück, die wir für unsere Arbeit brauchen. Doch da ist noch nichts passiert, außer dass die Orden einige Gebäude zurückerhalten haben, damit sie überhaupt wieder aktiv werden konnten, denn die Kommunisten hatten die Orden verboten.
Etwas anders ist es mit der kirchlichen Forstwirtschaft. Sie könnte eine Hilfe sein, in finanzieller Hinsicht unabhängiger vom Staat zu werden. Weil bisher weder Rückgabe noch Ausgleich erfolgten, ist die ökonomische Situation der Kirche so wie in kommunistischer Zeit: Die Priester werden vom Staat bezahlt. Deshalb konnten wir auch noch kein eigenes ökonomisches Programm entwickeln. Klar ist allerdings auch: Die Christen werden ihre Kirche künftig stärker finanziell unterstützen müssen - auf freiwilliger Basis, denn bei uns gibt es keine Kirchensteuer.
Eine Möglichkeit, Nichtchristen die Kirche näher zu bringen, ist auch die soziale Arbeit. Wie steht es um die Caritas in Ihrer Kirche?
Die Kommunisten hatten Caritasarbeit verboten, weil sie keine soziale Tätigkeit der Kirche zuließen. Erst in den 80er Jahren konnte sich einiges entwickeln. Inzwischen gibt es in jeder Diözese eine Caritas, die gute Arbeit leistet. Nach 1989 haben wir gesagt: Wir dürfen nicht nur die armen Brüder des Westens sein und um Hilfe bitten. Wir müssen auch sofort selbst helfen, denn in den Ländern noch weiter östlich gibt es noch viel größere Armut. Hier hat die Caritas viele Initiativen entwickelt. Inzwischen hat die Caritas ein hohes Ansehen, auch beim Staat. Ein gutes Beispiel war das Hochwasser vor zwei Jahren in Mähren. Hier war die Caritas die erste Organisation, die mit der Hilfe begonnen hat.
Gute Arbeit also, doch jetzt kommt ein Aber: Anfang der 90er Jahre haben wir gesagt, wir müssen der Gesellschaft zuerst das karitative Gesicht der Kirche zeigen. Vielleicht haben wir dabei aber vergessen, dass wir auch klar sagen müssen, was das Eigentliche der Kirche ist. Der Kirche geht es um die geistliche Dimension, geht es um das Heil des Menschen. Vergessen wir das zu sagen, besteht die Gefahr, dass die Kirche schnell als Anhängsel der sozialen Arbeit des Staates oder als soziale Institution gesehen wird.
Ein große Herausforderung für die Kirche im ehemaligen Ostblock ist die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Vieles konnte zu kommunistischen Zeiten nicht oder nur teilweise verwirklicht werden. Was ist in der tschechischen Kirche inzwischen geschehen?
Unser Programm ist: die Realisierung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Während des Kommunismus konnten wir eigentlich nur die Liturgiereform umsetzen. Alles andere war unmöglich. "Die Kirche in der Welt von heute" - wie ein Konzilsdokument heißt - war für die Machthaber gefährlich. Eine Kirche mit modernem Gesicht konnten sie nicht zulassen.
Jetzt spüren wir als Kirche die Notwendigkeit dieser Erneuerung. Doch auch hier sehe ich eine Gefahr: Wegen des Priestermangels führen wir Wortgottesdienste und ständige Diakone ein. Aber neue Strukturen genügen nicht, wenn wir nicht die Mentalität ändern. Unsere Christen haben gute Erfahrungen mit den Eucharistiefeiern gemacht und müssen jetzt erkennen, dass das Wort Gottes auch ein wichtiges Element im Leben der Kirche ist. Sie sind aber noch zu sehr auf die Eucharistie konzentriert. Dann heißt es schnell: Wortgottesdienst ist keine Eucharistie, ein Diakon ist kein Priester. Ein anderes Beispiel: Die Liturgiekonstitution spricht von der Gegenwart Christi in der Gemeinschaft. Wenn sich Christen treffen mit Jesus dem Auferstandenen in der Mitte, auch ohne Priester oder Diakon, dann ist das ein wichtiges Element im Leben der Kirche. Das müssen unsere Christen erst lernen. Und das macht die Erneuerung so schwierig. Diese Fragen werden eine wichtige Rolle während der interdiözesanen Synode in Tschechien spielen, die wir für das Jahr 2003 oder 2004 vorbereiten.
Das Konzil hat auch die Laien verstärkt zum christlichen Engagement in der Welt aufgerufen. Wie nehmen die Laien in der Kirche Ihres Landes ihre Verantwortung wahr?
Auch das ist eine Grundfrage unseres kirchlichen Lebens. Im Kommunismus war den Laien jedes Engagement nahezu unmöglich. Sie waren zur Passivität verurteilt, konnten nur "Objekt" kirchlicher Arbeit sein. In den 40 Jahren ist dadurch eine Mentalität entstanden, die sich nicht in ein paar Jahren ändern lässt. Unsere Aufgabe ist es, die Laien zu einer Mentalität der Mitarbeit zu erziehen. Und wir müssen auch die Priester erziehen, mit Laien zusammenzuarbeiten. Ich weiss nicht, welche Aufgabe schwieriger ist.
Was Vereine und Verbände betrifft, so gab es Anfang der 90er Jahre Versuche aus dem Westen, diese bei uns zu etablieren. Wir haben aber damals gesagt, für uns ist es erst einmal wichtig, uns wieder zu sammeln. Inzwischen entwicklen sich aber verschiedene Verbände: für Frauen, katholische Ärzte oder Lehrer. Wir Bischöfe versuchen ein Dach dafür zu schaffen, ähnlich dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Letztlich können wir es aber den Laien nicht abnehmen, sich zu organisieren. Wir wollen den Laien nicht irgendwelche Strukturen überstülpen, sondern wir wollen, dass Laienarbeit natürlich und von unten her wächst. Und das braucht Zeit.
Wenn die Laien ihre Verantwortung in der Kirche wahrnehmen, dann ist das auch nicht immer einfach, führt zu Reibereien und Diskussionen. Haben Sie Angst vor diesen Auseinandersetzungen?
Wir haben in den letzten Monaten viel über die Polarisierung in der Kirche gesprochen. Es gibt bei uns verschiedene Gruppen. Die einen sind eher fundamentalistisch und halten eine Öffnung der Kirche für gefährlich. Andere Strömungen dagegen sind ganz für diese Öffnung. Eine Gruppe beispielsweise hat kürzlich in ihren Dokumenten eine neue Verfassung für die Kirche vorgestellt, die eher der Verfassung der Vereinigten Staaten ähnelt. Das hat natürlich Vertreter der anderen Richtung verängstigt und die Gräben vertieft. Wenn wir die Laien zur Mitarbeit und Mitsprache ermuntern wollen, dann ist die große Frage die des Dialogs. Und auch den müssen wir nach 40 Jahren Kommunismus erst wieder lernen, was langsam zustande kommt.

Fragen: Eckhard Pohl, Stephan Radig, Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 22 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.05.2000

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