Von der Steinzeit bis zur Gotik
Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle erinnert an 120-jähriges Bestehen
Das "Wappentier" des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle an der Saale - der Reiterstein von Hornhausen im Bördekreis - bewegt sich wieder: Zum einen auf der Museums-Homepage im Internet und zum anderen in der am 10. Dezember eröffneten Ausstellung "Schönheit, Macht und Tod". Diese wurde aus Anlass des 120-jährigen Bestehens dieser Einrichtung konzipiert und ermöglicht es den Besuchern erstmals seit 1994 wieder einen Blick hinter die Mauern des Museums zu werfen. Damals schloss das älteste Vorgeschichtsmuseum Deutschlands aufgrund baulicher Mängel seine Pforten. Inzwischen hat sich einiges getan und so wird es gegen Ende diesen Jahres möglich sein, die Dauerausstellung schrittweise wieder zugänglich zu machen. Zuerst mit dem Bereich der Steinzeit, weitere Epochen werden in den folgenden Jahren museal erschlossen.
Nicht zuletzt um die Wartezeit zu verkürzen, werden bis zum 28. April herausragende Funde der Archäologie in Sachsen-Anhalt präsentiert. Die Auswahl fiel den Mitarbeitern nicht leicht, war die Zahl doch auf 120 Funde beschränkt - für jedes Jahr des Bestehens einen. "Und jeder hatte seinen wichtigen Fund, den er unbedingt mit vertreten sehen wollte", berichtet Harald Meller, der Direktor des Landesmuseums bei der Eröffnung. Das Ergebnis kann sich, sicher auch wegen dieser Diskussionen, sehen lassen und bietet einen guten Einblick in die Vorgeschichte Mitteldeutschlands. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass etliche Exponate eine Bedeutung für Europa und sogar für die Weltgeschichte haben.
Weltweit bekannt sind die zirka 350 000 Jahre alten Funde des Urmenschen Homo erectus aus Bilzingsleben in Thüringen - den ersten Bewohnern unserer Region. Oder der erste Kunststoff der Welt: Unscheinbare braunschwarze Kugeln, gefunden in Königsaue (Landkreis Aschersleben-Staßfurt) haben jüngst die Fachwelt aufhorchen lassen. Dieser mehr als 40 000 Jahre alte Kunststoff besteht aus Birkenpech, welches in einem komplizierten chemischen Prozess aus der Birkenrinde gewonnen wurde. Hersteller war ein Neandertaler, der das Birkenpech als Klebstoff für seine Jagdwaffen nutzte.
Ein weiterer Fund weist auf das medizinische Können der Vorfahren hin: Eine Schädel, gefunden im Landkreis Merseburg-Querfurt, weist auf jungsteinzeitliche Chirurgie hin - der Schädel wurde mit Steingeräten geöffnet. Die abgeheilten Ränder zeigen dem Archäologen, dass der Patient überlebt hat. Stoffe aus der Steinzeit verweisen auf die sogenannte Bernburger Kultur, die seit 1896 eigenständig benannt wird. Und auch der Bumerang kann keineswegs nur in Australien gesucht werden, ein Fund aus der Elbe bei Magdeburg belegt, den Bumerang gab es zur Eisenzeit schon im heutigen Sachsen-Anhalt. Auf die Schlacht des Arminius gegen den Römer Varus weist eine Münze mit dem Namen des römischen Feldherren hin, ein Germane hat sie wohl als Andenken an die Ereignisse im Jahre neun mitgebracht und als Anhänger getragen.
Insgesamt reicht der Reigen der gezeigten Exponate bis ins hohe Mittelalter hinein. Aus dieser Zeit stammt auch das Emblem der Ausstellung, ein figürliches Köpfchen aus dem 12. Jahrhundert. Es wurde im Schutt der ehemaligen Klosterkirche Gerbstedt im Mansfelder Land gefunden. Ein weiterer Fund aus dem Mittelalter weist auf die Frömmigkeit eines Burgherren aus dem Geschlecht derer von Brehna hin. In Jessen - genauer im Bereich der ehemaligen Burg - wurde 1996 eine romanische Marienfigur gefunden, die einmal auf einem Limoger Vortragekreuz (Limoges in Südfrankreich) befestigt war. Es wird angenommen, dass dieses vielleicht über eine Pilgerfahrt oder die Teilnahme an einem Kreuzzug nach Jessen kam. Die Archäologen schließen aus dem Fund weiter, dass es sich bei den Burgherren um ein in ihrer Zeit bedeutendes Geschlecht gehandelt haben muss.
Noch einmal zurück zum Reiterstein von Hornhausen, dem Logo des Museums. Gefunden wurde die merowingische Reiterdarstellung bereits im Jahr 1874. Die Steinplatte zeigt einen Reiter mit Schild, Lanze und Schwert, er ist dadurch als Mitglied des Hochadels erkennbar. Datiert wird der Fund auf das Jahr 700 nach Christus. Im Begleitbuch zur Ausstellung schreibt Ralf Schwarz: "Da der Reiterstein stilistisch und motivisch in den nordgermanischen Bereich weist, ist der Schluss erlaubt, in ihm den Grabstein eines Nachfahren der Sachsen zu erblicken, die von den Franken 531 im Nordthüringengau zwischen Bode und Ohre angesiedelt wurden."
All dies zeigt, dass Archäologie durchaus eine spannende Wissenschaft ist, die nicht nur Fachleute anspricht. Und so ist es durchaus gewollt, mit der Ausstellung "Schönheit, Macht und Tod" eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Direktor Harald Meller erinnerte in seinen Worten zur Eröffnung daran, dass 98 Prozent der Menschheitsgeschichte Vorgeschichte ist. In dieser Zeit wurde der Mensch zu dem, was er bis heute ist.
Die nunmehr fast 120-jährige Geschichte des Museums geht eigentlich bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Mit der Gründung des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Altertums im Jahr 1819 wurde die Grundlage für eine rege Sammeltätigkeit gelegt. Die Mittel für ein eigenes Provinzialmuseum wurden schließlich im März 1882 bewilligt, die Eröffnung fand im März 1884 statt. 1921 wurde das Provinzialmuseum in Landesanstalt für Vorgeschichte umbenannt. Der heutige Museumsbau mit dem eindrucksvollen Lichthof - dem Ort der Ausstellung "Schönheit, Macht und Tod" - entstand in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg.
jak/lfv
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.01.2002