Drei Jahrzehnte im Visier der Stasi
Theo Mechtenberg hat seine Erfahrungen veröffentlicht
Magdeburg (ep) - Er wurde 30 Jahre lang vom Ministerium für Staatsicherheit (MfS) bespitzelt: Theo Mechtenberg. Zunächst Vikar in Wittenberg, dann Studentenpfarrer in Magdeburg, aktiv im Arbeitskreis "Pacem in terris" und für die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen, als Priester laiisiert, sieben Jahre in Polen tätig und schließlich - von der Bundesrepublik aus - engagiert für eine menschenwürdige Gesellschaft in Ost und West. In einer Broschüre der Reihe "Betroffene erinnern sich", die von der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Edda Ahrberg, herausgegeben wird, hat Mechtenberg seine Erfahrungen festgehalten. Titel: "30 Jahre Zielperson des MfS. Eine Fallstudie zu Aufklärung und Simulation der Stasi". Dabei kommen auch kirchliche Zusammenhänge zur Sprache. Anlässlich der Vorstellung der Publikation stand der Autor dazu in Magdeburg Rede und Antwort.
Eine Nachfrage des Historikers Bernd Schäfer, der Mitte der 90er Jahre im Auftrag der Bischöfe recherchierte ("Kirche im Visier", St. Benno-Verlag), habe ihn veranlasst, seine Geschichte aufzuarbeiten, so der heute 73jährige. Schäfer habe ihn um Stellungnahme zu einem Bericht gebeten, der von einem Stasi-Offizier 1969 über ein Gespräch mit dem Berliner Prälaten Otto Groß angefertigt worden war. Bei dem Treffen war es um seine - Mechtenbergs - Person gegangen. Groß war seit 1967 vom Berliner Bischof Alfred Kardinal Bengsch beauftragt, notwendige Stasi-Kontakte wahrzunehmen und wurde vom MfS als IM (Informeller Mitarbeiter) Otto geführt. Nach dem Bericht des Offiziers gab Groß in dem Gespräch Bengschs kritische Haltung zum Engagement Mechtenbergs im Rahmen des Arbeitskreises "Pacem in terris" weiter.
Der Arbeitskreis, der 1963 auf Initiative des Erfurter Weihbischofs Hugo Aufderbeck entstanden war und von Mechtenberg geleitet wurde, sollte eine Rezeption der katholischen Soziallehre im Blick auf die DDR-Situation übernehmen. "Beabsichtigt war, ideologisch besetzte Begriffe wie Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität und Arbeit zu entideologisieren, sie mit dem in der katholischen Soziallehre verfügbaren Inhalt neu zu füllen und - in Absetzung vom sozialistischen Sprachgebrauch - für die kirchliche Verkündigung verwendbar zu machen", so Mechtenberg.
"Auch war daran gedacht, in der Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Vorgaben der DDR-Regierung (Arbeits-, Ehe- und Familiengesetzgebung) der Ordinarienkonferenz Argumentationshilfen zu liefern. Zudem konzentrierte sich der Kreis auf die Untersuchung, welche Ansätze das sozialistische System für ein christlich motiviertes gesellschaftskritisches Engagement bot und wie der vom Konzil geforderte Weltdienst unter den Bedingungen der DDR-Gesellschaft wahrgenommen werden konnte." Bengsch war gegen derartiges Engagement und ließ das Mechtenberg und den Arbeitskreis wiederholt wissen. Der Berliner Bischof befürchtete negative Folgen der Aktivitäten für das Leben der Kirche. Aus ähnlichem Grund hatte er beim Zweiten Vatikanischen Konzil die Unterschrift unter die Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" verweigert. Denn er sah sich außer Stande, diese unter den DDR-Verhältnissen umzusetzen, so Mechtenberg. "Er wollte die Einheit des Bistums Berlin aufrechterhalten" und eine weitgehend normale Seelsorge absichern und war deshalb konsequent darauf aus, "politische Abstinenz" und "loyale Distanz" zu halten. Mechtenberg: "Bengschs Kirchenpolitik war in Ordnung, nur durfte daraus nicht die Pastoral präjudiziert werden."
Am Ende der innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit Bengsch zog Mechtenberg 1971 mit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitskreis persönliche Konsequenzen. Das MfS, das das Engagement Mechtenbergs und des Arbeitskreises als "Diversion" einstufte, hatte - da es nichts unternahm - offensichtlich damit gerechnet, dass die innerkirchlichen Konflikte die Aktivitäten des Arbeitskreises "mehr oder weniger unwirksam machen würden", was auch eintrat.
Mechtenberg, der als einer der engagiertesten katholischen Studentenpfarrer in der DDR galt, wurde aber auch wegen seiner Arbeit in der Studentengemeinde bespitzelt. So wurde zum Beispiel 1971 der IM René, Mechtenberg nennt in seiner Schrift den Klarnamen, Dr. Horst Seidel, direkt auf ihn angesetzt. Seidel betrieb die Schaffung eines katholischen Jungakademikerkreises, über den die Stasi offensichtlich an Informationen kommen wollte. Wie sehr sich dabei aber das MfS auch in von ihm selbst entworfene Vorstellungen ("Simulation") über observierte Personen hineinsteigern konnte, die es dann durch Beobachtungen und Maßnahmen nachzuweisen versuchte, wird gerade auch an Aktivitäten Seidels deutlich: Das MfS hielt Mechtenberg für einen Agenten eines amerikanischen Geheimdienstes und versuchte dies mit Hilfe Seidels nachzuweisen.
"Der lange Arm der Stasi verfolgte den engagierten Katholiken nach 1972 auch in Polen. Mechtenberg hatte 1971 seinen Dienst als Seelsorger aufgegeben und war in das Nachbarland übergesiedelt, wo er seine Frau heiratete. Von dort aus setzte er sich für die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen ein, beobachtete aufmerksam die Demokratisierungsbestrebungen im Land und informierte darüber in Zusammenarbeit mit Günter Särchen, dem Leiter der Magdeburger Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel, im kirchlichen Raum der DDR. Gute Kontakte zu Vertretern der polnischen Intelligenz und Kirche und zu oppositionellen Gruppen halfen ihm dabei.
Auch als Mechtenberg 1979 wegen beruflicher Behinderung aus Polen in seine westfälische Heimat zurückging und seinen Dienst beim Gesamteuropäischen Studienwerk (GESW) Vlotho aufnahm, lies ihn das MfS nicht los: Bei seiner Arbeit kümmerte er sich um aus der DDR übergesiedelte Schriftsteller. Bei zahlreichen Besuchen bei Freunden in der DDR wurde Mechtenberg observiert und im Rahmen operativer Personenkontrollen, so etwa im Zusammenhang mit Günter Särchen und dessen seit 1968 durchgeführten Polenseminaren, erfasst. Mechtenbergs intensive Mitarbeit an der unter dem Titel "Versöhnung - Auftrag der Kirche" 1982 herausgegebene Handreichung hingegen, in der über die polnische Entwicklung von 1980 (Solidarnosc) bis in die Zeit nach Verhängung des Kriegsrechts berichtet wurde und die zu Aktivitäten höchster DDR-Stellen führte, blieben der Stasi offensichtlich verborgen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.01.2002