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Aus der Region

Das gewebte Labyrith

Blickpunkt

Michael Gabel und Ulrike Drasdo vor einem Entwurf des Wandteppichs"Für mich war es der schönste und intensivste Auftrag, an dem ich bisher gearbeitet habe", sagt Ulrike Drasdo. Die in Hohenfelden bei Weimar wohnende Künstlerin meint damit den Wandbehang, den sie für die kleine katholische Kirche von Ichtershausen gewebt hat: Ein Labyrinth, gestaltet in den leuchtenden Farben des Regenbogens. Intensiv und schön war diese Arbeit für Ulrike Drasdo, weil das gewebte Labyrinth das Ergebnis eines intensiven Austausches zwischen ihr und der Pfarrgemeinde Ichtershausen ist.

Die ersten Ideen für den Wandbehang reichen in die Mitte der 90er Jahre zurück, berichtet Dr. Michael Gabel, der als Priester die Gemeinde betreut und im Hauptberuf Fundamentaltheologe an der Theologischen Fakultät Erfurt ist. Damals gingen die Gedanken voraus zum 50. Kirchweihfest, das die Gemeinde im vorigen Jahr feierte. "Wir wollten aus diesem Anlass zeigen, dass wir glauben, auch als kleine Gemeinde eine Zukunft zu haben, was ja heute nicht selbstverständlich ist." Ein solches Zeichen des Vertrauens hatten auch die katholischen Christen gesetzt, die durch den Zweiten Weltkrieg und die Vertreibung als Flüchtlinge und Umsiedler nach Ichtershausen gekommen waren: Ehe sie selbst richtige Wohnungen hatten, so berichten es noch heute die Leute im Ort, haben sie mit dem Bau einer Kirche begonnen. Michael Gabel über die Gemeinde von damals: "Obwohl man nicht wusste, wie es weitergehen würde, sagte man aus der Kraft des Glaubens heraus Ja zu der Aufgabe, neu Heimat finden zu müssen."

Bei der Diskussion in der Gemeinde entstand die Idee, dass ein Zeichen des Vertrauens heute ein wertvolles Kunstwerk sein könnte. Und weil zu jener Zeit der größte Betrieb - das Nadelwerk -dicht gemacht hatte, sollte es auch ein Zeichen für den ganzen Ort sein, ein Zeichen, mit dem Leute auch etwas anfangen können, wenn sie nichts mit Glauben und Kirche zu tun haben.

Anfang 1998 kam es zu ersten Gesprächen mit Ulrike Drasdo, die einige Jahre zuvor einen Herz-Jesu-Wandbehang für die katholische Kirche in Unterwellenborn geschaffen hatte. Was folgte, war ein sehr intensiver Kontakt zwischen der Künstlerin und der Gemeinde. "Ich wollte das Kunstwerk nicht nur für mich machen, sondern für den Kirchenraum und natürlich für die Gemeinde." Ulrike Drasdo sprach mit Leuten, die vor 50 Jahren die Kirche mitgebaut hatten, sie sah sich Fotos aus jener Zeit an, studierte die Chronik, "eine liebevoll aufgeschriebene Geschichte, die ich mir lange angesehen habe." Aus der Beschäftigung mit dieser Geschichte kam die Idee, ein Labyrinth zu gestalten: "Die Gemeinde entstand aus Kriegsumsiedlern und Flüchtlingen. Auf beschwerlichen Wegen sind sie hierher gekommen, manchmal auch auf Irrwegen. Sie hatten kein richtiges Ziel, waren mal hier, mal dort." Ulrike Drasdo dachte dabei zuerst allerdings mehr an einen Irrgarten. "Dass Irrgarten und Labyrinth etwas Verschiedenes sind, wusste ich damals nicht." Der Unterschied zwischen beiden besteht im Wegverlauf: Während ein Labyrinth nur aus einem einzigen, aber verschlungenen Weg besteht, gibt es im Irrgarten viele Wege, von denen nur einer zum Ziel führt, während die anderen in der Sackgasse enden.

Im Wandbehang von Ulrike Drasdo finden sich beide Elemente: Irrgarten und Labyrinth. "Auf das Element des Irrgartens wollte ich nicht verzichten", meint sie, denn: "Es gibt im menschlichen Leben die Erfahrung der Ziellosigkeit: Es kommt nicht jeder an das Ziel und mancher verliert auch den Glauben daran." Für Michael Gabel ist das die eigentliche Leistung der Künstlerin, so etwas wie eine neue Deutung des Labyrinthgedankens: Die geometrischen Formen des Irrgartens werden mit den farblichen Elementen - von den dunklen Randfarben bis zum hellsten Punkt in der Mitte - verbunden.

Zwei Jahre hat Ulrike Drasdo sich mit dem Thema beschäftigt. Vier Monate hat sie gearbeitet, um den Wandbehang fertigzustellen - ohne die Zeit, die sie brauchte, um im Webstuhl die Fäden zu spannen und ohne die verschiedenen Entwürfe, die sie angefertigt hat. Auch in der Entwurfs-Phase gab es intensive Kontakte zur Pfarrgemeinde. Neben anderen Arbeiten von Ulrike Drasdo wurden die Labyrinth-Entwürfe in der Kirche von Ichtershausen aufgehängt -und erwiesen sich plötzlich schon damals als ein sprechendes Zeichen: Bei Renovierungsarbeiten stellte sich heraus, dass die Kirche einer grundlegenden Sanierung bedurfte, weil der Fußboden verfault war. "In die Anstrengung der Arbeiten hinein ermutigten uns die Entwürfe durch ihre wunderbare Leuchtkraft", sagt Michael Gabel heute.

Nun ist das Werk geschafft. Seit Ostern diesen Jahres hängt der Wandteppich im Altarraum. Wer den kleinen Kirchenraum betritt, wird von den leuchtenden Farben beeindruckt. Ein Kunstwerk für einen Kirchenraum zu machen, das ist für Ulrike Drasdo schon etwas Besonderes. "Das verlangt mehr Verantwortung", meint sie. "Hier geht es nicht um eine schnelllebige Mode, sondern um etwas Zeitloses, etwas, was tiefer geht, etwas, was Lebenswichtiges anspricht."

Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 25 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.06.2000

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