Normalität geworden
Bahnhofsmissionen stehen Reisenden, aber auch Menschen in Not zur Seite
Magdeburg (ep) - Doreen Hoffmann lässt sich das Angebot nicht zwei Mal machen: Gern nimmt sie die Hilfe von Ulrike Hahnemann und Dorothea Hüttig an, sich und ihrem zweijährigen Sohn Matthias beim Umsteigen helfen zu lassen. Mit einem großen Gestellrucksack bepackt, den kleinen Sohn an der einen, einen kleineren Rucksack an der anderen Hand, hat sie Mühe, sich mit ihrem Kind durch das Gedränge im Magdeburger Hauptbahnhof zu zwängen. Da kommt die Hilfe der Frauen von der Bahnhofsmission gerade recht.
"Das ist die eine Seite unseres Dienstes", sagt Adelheid Bornholdt, die die Bahnhofsmission in Trägerschaft des Caritasverbandes für das Dekanat Magdeburg und der Magdeburger Stadtmission leitet. "Wir nennen dies aufsuchende Hilfe, schauen also selbst, wo Menschen auf und rund um den Bahnhof unsere Unterstützung brauchen. Es wenden sich aber auch von sich aus Menschen an uns, an die 50 Personen pro Tag: Rollstuhlfahrer fragen vor ihrer Reise an, ob wir ihnen beim Umsteigen helfen. Zugpersonal ruht sich bei uns aus. Und es kommen Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben."
Wie die zwei Männer, die an diesem Freitagvormittag zaghaft an die Tür des kleinen Büros klopfen. Noch unsicherer bringen sie ihr Anliegen vor, mit Frau Bornholdt reden zu wollen. Sein Kollege werde von Skinheads verfolgt, sagt der eine und zeigt auf seinen Kumpel. Frau Bornholdt bittet sie, im Aufenthaltsraum Platz zu nehmen und sich ein paar Minuten zu gedulden.
Sind das vielleicht die Männer und auch Frauen, die Bahnchef Hartmut Mehdorn am liebsten nicht mehr auf den Bahnhöfen hätte? "Diese Menschen suchen mit ihren Problemen Kontakt zu uns", sagt Frau Bornholdt. Die Behauptung, die Bahnhofsmissionen würden mit ihrem Imbissangebot Leute am Rand der Gesellschaft anziehen, weist sie zurück: "Dann dürfte es auf Bahnhöfen, auf denen es keine Bahnhofsmissionen gibt, auch keine Obdachlosen geben. Aber dies ist nicht der Fall." Jeder Bahnhof biete die Möglichkeit, sich anonym zu treffen. Und mancher Würstchenstandbetreiber reiche den Obdachlosen kostengünstig was über die Theke." "Wenn wir es einstellen müssten, Menschen einen Kaffee und eine Stärkung anzubieten, hätte ich die große Sorge, dass wir sozial Benachteiligte nicht mehr erreichen. Und dass wir dann nicht mehr die Möglichkeit haben, ihnen Hoffnung und Zuversicht zu geben", so Frau Bornholdt. Gerade gestern habe wieder eine Andacht stattgefunden, in der Diakon Wolfgang Gerlich die Menschen ermutigt hat, "sich nicht aufzugeben". "Wir versuchen, ihnen ein Stück Licht in ihrer Dunkelheit zu vermitteln", sagt Frau Bornholdt. "Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit sind insbesondere die Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, oft sehr niedergeschlagen", sagt sie.
Manchmal ergebe sich aus den Kontakten eine Vermittlung zu einem sozialen Dienst, der den Leuten weiterhilft. Nicht selten bitten Klienten, ihnen beim Ausfüllen von Anträgen zu helfen und sie zu Ämtern zu begleiten. Warme Mahlzeiten bietet die Bahnhofsmission nicht mehr an, seit es in Magdeburg-Cracau im Haus Mutter Teresa ein Obdachlosencafé gibt. "Doch einige der Besucher, die zur Bahnhofsmission kommen, können es nicht erreichen."
Frau Bornholdt glaubt, dass Bahnchef Mehdorn auch weiterhin die Bahnhofsmissionen beibehalten möchte, "auch weil Reisende in ihren sozialen Nöten die Einrichtung brauchen". Die Zusammenarbeit mit dem Management und den Bahnangestellten in Magdeburg jedenfalls sei "partnerschaftlich". "Unser Dienst ist heute ein Stück Normalität", sagt Frau Bornholdt. "Und es ist gut, wenn dies so bleibt."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.01.2002