Zum Mord an Alberto Adriano
Dokumentiert
Folgender Text zum Tod des Mosambikaners Alberto Adriano wurde am 18. Juni in allen evangelischen Gottesdiensten Dessaus verlesen:
Jesus sprach: "Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem nach Jericho und fiel unter die Räuber. Die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen." Dasselbe hat sich in Dessau ereignet in den frühen Morgenstunden des Pfingstsonntags: Ein Mann ging von einer nächtlichen Feier nach Hause. Auf dem Weg zu einem der so genannten Y-Häuser nahm er die Abkürzung durch den Stadtpark. Nur 100 Meter vor seiner Haustür fiel er unter drei rassistisch gesonnene junge Männer. Ausgezogen und halbtot ließen sie ihn liegen. Sein Samariter, ein mutiger Bürger und Zeuge des Überfalls, rief die Polizei und den Notarzt. Aber - anders als in der biblischen Geschichte -überlebte der Überfallene nicht. Am Freitagabend haben die Dessauer Bürger, alle bedeutenden gesellschaftlichen Kräfte der Stadt und unseres Landes mit einem Trauermarsch und einer Trauerfeier im Stadtpark das grauenhafte Verbrechen verurteilt und ein Zeichen gegen Gewalt und für Toleranz und Menschenwürde gesetzt.
Wir spüren es deutlich: Unsere Gesellschaft verroht und entgleist, wenn es uns nicht gelingt, Intoleranz, Gewaltbereitschaft, Fremdenhass, Rassismus und Rechtsextremismus zu benennen und ihnen den Boden zu entziehen. Denn neben der tiefen Betroffenheit hörten wir in den vergangenen Tagen auch immer wieder Sätze wie "Das war ja bloß ein Neger ..." oder "Da haben sie eben aus Versehen den Falschen verprügelt ..." Solchem menschenunwürdigen Gerede müssen wir überall entschieden widersprechen und Zivilcourage zeigen. Gleichzeitig müssen wir aber auch lernen, über unsere eigenen Vorurteile nachzudenken, uns unseren Ängsten gegenüber Fremden und Schwarzen stellen und sie bearbeiten. Tun wir es nicht, geben wir einem teuflichen Geist unter uns immer mehr Raum.
Die Stadt Dessau wurde beschädigt durch diese Tat. Nicht nur ihr Ansehen, sondern vielmehr die Lebensgemeinschaft ihrer Bürger: "Wie soll ich in Zukunft mit meinen Kindern auf die Straße gehen?", hat ein mosambikanischer Freund des Ermordeten gefragt. Die Angst geht um und begleitet manchen, der eine andere Sprache spricht oder eine andere Hautfarbe hat.
Was können wir also tun, dass neues Vertrauen wachsen kann und aus Fremden Vertraute werden? Wie können wir daran mitarbeiten, dass es auch in Ostdeutschland normal wird, in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben?
Wer kann, möge Austauschschüler oder Austauschstudenten oder Au-Pairs aus anderen Ländern bei sich im Haushalt auf Zeit mitleben lassen. Die Pflege der zahlreichen Partnerschaften zu Kirchengemeinden im Ausland kann sicher noch hie und da verstärkt werden. Wer Zeit und Kraft hat, sollte versuchen, Kontakte aufzubauen zu unseren ausländischen und dunkelhäutigen Mitmenschen. Als Kirche sollten wir auf sie zugehen und sie einladen. Viele von ihnen sind - wie auch der Ermordete - Christen. Die Gemeinde Jesu Christi überbrückt alle nationalen und kulturellen Grenzen. Jesus hat uns sogar gelehrt, besonders auf die zuzugehen, die uns fremd und unvertraut sind, bis hin zu denen, die uns feindlich gesonnen sind. Deshalb schließen wir in unsere Fürbitte auch die Täter ein. Dass ihre Tat ihr Leben nicht zerstören möge. Gott gebe, dass sie zur Besinnung kommen, Frieden und Toleranz lernen. Vor allem bitten wir jedoch für die Witwe und ihre Kinder. Dass sie nicht verbittern und ihnen die nötige Kraft zum Weiterleben zufließen möge (...)
Ein Verfasserteam unter Leitung von Kreisoberpfarrer Dr. Joachim Diestelkamp
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.06.2000