Neue Möglichkeiten
Woche für das Leben
"Leben als Gottes Bild" -unter diesem Leitwort findet vom 1. bis 8. Juli die Woche für das Leben statt. Vor zehn Jahren zum ersten Mal von der katholischen Kirche veranstaltet, ist die Woche für das Leben heute eine Initiative der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland. Das Motto - so die Veranstalter - soll in diesem Jahr den Blick auf die Grundlagen und Bedingungen menschlichen Lebens richten. Im folgenden Beitrag hat Jürgen Wagner von Caritas-Regionalstelle
Eichsfeld-Unstrut-Hainich für den Tag des Herrn seine Gedanken dazu festgehalten:
Leben ist Lust. Leben ist Last. Leben ist Chance. Leben ist Geschenk. Leben findet im Glück statt und in der Verzweiflung, in Hoffnung, Furcht oder in Gleichgültigkeit.
Gott schuf uns Menschen nach seinem Bilde - in glücklichen Momenten können wir dies sehr gut nachvollziehen. Aber wie oft begegnen wir Menschen, an denen wir nichts Gott Ähnliches entdecken können. Oft ertappe ich mich selbst in einer Haltung der Ablehnung, Gott zu entdecken im Suchtkranken, im Behinderten, im Gewalttätigen oder in dem, der vor der Kaufhalle steht und Bierdosen leer trinkt. Wir neigen dann sehr schnell zum Urteilen, zum Vor-urteilen, zum Ver-urteilen. Damit verurteilen wir nicht nur den Anderen, sondern auch uns selbst. Wir berauben uns nämlich einer von Gott geschenkten Möglichkeit, der Möglichkeit, die Welt mit den Augen des Anderen zu sehen und den Anderen mit den Augen Gottes zu sehen. Ich denke, das Urteilen und Verurteilen ist eine Eigenschaft, in der wir uns grundlegend von Gott unterscheiden: Er urteilt nicht, er verurteilt nicht. Er lässt uns sein, er lässt uns wachsen.
Lassen wir den Anderen sein? Lassen wir ihm Luft, Licht, Wärme, Nahrung für Leib und Seele, damit er wachsen kann? Kann beispielsweise das Selbstwertgefühl und die Zufriedenheit eines Sozialhilfeempfängers wachsen, wenn er ohne Arbeit, ohne Anerkennung, ohne Verständnis, mit dem ständigen Bewusstsein, sich Lebensqualität nicht leisten zu können, sich gelebt fühlt, ohne Hoffnung auf Änderung?! Der Therapeut Förster sagte einmal: "Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten erweiterst!"
Viele Menschen kommen zu uns in die Caritas, die für sich nicht mehr viele Möglichkeiten sehen. In der Sucht, in der psychosozialen Beratung, in Partnerschaft und Familie können die Probleme erdrückend werden. Dann geht es für uns Sozialarbeiter darum, dem Hilfe Suchenden zunächst Möglichkeiten aufzuzeigen, damit er sich selbst helfen kann und diese Möglichkeiten selbst verwirklicht. Hilfe heißt für uns, den Anderen zu befähigen, sich wieder selbst zu helfen, denn wenn wir ihm alles abnehmen, entmündigen wir ihn und machen ihn von uns abhängig. Die Anzahl der Möglichkeiten erweitern, dies ist ein Geschenk, das wir den Menschen anbieten können, die zu uns kommen. Dies ermöglicht Wachstum für beide, für den Anderen und mich. Und als Wachsende und Werdende sind wir beide Abbilder Gottes.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.07.2000