Leben ist mehr
Pater Damian
"Es gibt nichts Neues unter der Sonne ... Alles, wie gehabt ... Das musste ja so kommen ... Ich spreche aus Erfahrung: Mich kann nichts mehr erschüttern." Solche und ähnliche Ausdrücke schildern die Befindlichkeit von Menschen, die nicht mehr allzu viel Neues und keine Überraschungen im Leben erwarten. Sie haben gewissermaßen ihre "Rechnung" abge schlossen. Sie haben sich über alles und alle eine feste Meinung gebildet und lassen sich nur sehr schwer davon abbringen. Neue Informationen und Erfahrungen werden meistens in das Korsett ihrer vorgefassten Urteile gezwängt. Von wem spreche ich da? Von alten Menschen? Sind wir nicht alle in der Gefahr, uns den "Abschluss", den wir irgendwann gemacht haben, nicht korrigieren zu lassen? Das ist nicht unbedingt eine Frage des Alters. Es ist eine Frage der Einstellung: Bin ich offen für Neues, für Überraschungen? Bin ich noch neugierig, und kann ich noch staunen? Das Staunen überlassen wir gern den unmündigen Kindern. Ich glaube, das StaunenKönnen befähigt uns, auch im Alter jung zu bleiben.
Das gilt auch für unsere Beziehungen zu Mitmenschen, zu Freunden, Ehepartnern. Wem nichts mehr auffällt an geliebten Menschen, dem fällt bald auch nichts ein im Umgang mit ihnen. Alles wird Routine. Liebe aber kommt an kein Ende mit dem anderen. Je länger man sich kennt, um so tiefere Dimensionen des personalen Geheimnisses des anderen entdeckt man. "Aus dem Staunen entspringt der Dank. Wenn ein Mensch einen anderen liebt, dann empfindet er vor dem geliebten Menschen eine immer neue Verwunderung, und es kann sehr wohl ein Augenblick kommen, in welchem er in Wahrheit sagt: "Ich danke dir, dass du so bist, ich danke dir, dass es dich gibt" (R. Guardini).
Verwunderung, Staunen und Dank, das ist auch die Grundhaltung des Menschen vor Gott. Die biblische Botschaft ist zum Staunen: Gott, der Herrliche, der uns nicht braucht, um Gott zu werden und zu sein, weil er in sich glücklich ist - er will nicht ohne uns Gott sein! "Kommt und seht die Taten Gottes! Staunenswert ist sein Tun an den Menschen" (Ps 66, 5). Weil Kinder offen sind und staunen können, ob nicht deshalb Jesus gesagt hat: "Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen"? (Mt. 18,3).
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.07.2000