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Auf zwei Minuten

Gott sieht das Herz

Pater Damian

Pater Damian MeyerEin religiöser Meister hatte hunderte von Schülern. Alle beteten zur vorgegebenen Zeit - bis auf einen, der ein Trinker war. Als er im Sterben lag, rief der Meister den Trinker zu sich und gab an ihn sein geheimstes Wissen weiter. Die anderen Schüler waren entsetzt: "Welch eine Schande! Wir haben alles für einen Meister geopfert, der unfähig war, unsere guten Eigenschaften zu erkennen", sagten sie. Der Meister sagte: "Ich musste diese Geheimnisse an einen Mann weitergeben, den ich gut kenne. Diejenigen, die immer tugendhaft zu sein scheinen, verbergen im Allgemeinen ihre Eitelkeit, ihren Stolz und ihre Intoleranz. Daher habe ich den einzigen Schüler gewählt, dessen Fehler ich sehen konnte: den Trinker."

Diese Geschichte erinnert mich an den Bericht im Johannesevangelium (21, 15-19) über die Beauftragung des Petrus zum Hirtendienst. Warum wählt Jesus gerade den Petrus aus? Nach welchen Kriterien entscheidet er sich für diesen Mann, der doch versagt hat? Bevor der Auferstandene Petrus mit dem Hirtenamt betraut, fragt er ihn dreimal, ob er ihn liebe. Das hätte Petrus vielleicht nicht so betroffen gemacht, hätte er seinen Herrn nicht dreimal verleugnet. Und dabei hatte Petrus vor der Passion Jesu noch selbstsicher erklärt, Jesus zu folgen und sein Leben für ihn hinzugeben. Petrus wird nicht nach besonderen Führungsqualitäten oder Leistungen befragt. Entscheidend ist: "Liebst du mich?" Das heißt: Wirfst du dein Herz, die Mitte deiner Person, in die Waagschale, vertraust du mir und übergibst du dich mir ganz - trotz aller Schwächen und Fehler?

Dass Jesus gerade einen "Versager" zu seinem "Stellvertreter" als Hirt seiner Herde erwählt hat, das kann jeden ermutigen, der unter seiner Unwürdigkeit und Schwäche leidet, besonders auch jene, die in der Kirche eine besondere Verantwortung haben. Liebe und Hingabe an Gott haben mit Wahrhaftigkeit und Offenheit, mit Demut zu tun. Trotz aller Rückschläge und Niederlagen fängt Liebe jeden Tag neu an, um dem Entwurf Gottes von uns immer mehr zu entsprechen. "Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz", sagt Gott zu Samuel bei der Erwählung Davids zum König (1. Sam 16,7).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 29 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.07.2000

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