Interview mit Dr. Ulrich Plaga
Religions unterricht an Schulen
Nur fünf Prozent der Schüler in Sachsen-Anhalt erhalten Religionsunterricht, in Thüringen sind es im Vergleich dazu rund 30 Prozent. Kultusminister Dr. Gerd Harms (Bündnis 90 / Die Grünen) ging kürzlich mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit, der die flächendeckende Einführung des Religionsunterrichts in Sachsen-Anhalt als Wahlpflichtfach vorantreiben soll. In einem Modellversuch mit zunächst 18 Schulen soll die Teilnahme an einem der Werte-Unterrichtsfächer Pflicht werden, auch wenn nur Religionsunterricht einer Konfession angeboten wird. Nach bisheriger Regelung muss neben Ethik sowohl evangelischer als auch katholischer Unterricht angeboten werden, damit die Teilnahme verpflichtend ist. Der Tag des Herrn sprach über den Vorstoß des Kultusministers mit Dr. Ulrich Plaga, dem Abteilungsleiter für Religionspädagogik im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg.
Die Idee, mit der sich Kultusminister Harms jetzt als Förderer des Religionsunterrichts präsentiert, stammt von Ihnen. Erwähnt wird das nirgends. Macht Sie das sauer?
Plaga: Es ist schon verwunderlich, dass sich der Kultusminister mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit begibt, der aus unserem Haus stammt; das war anders vereinbart und hat für Verstimmung gesorgt. Man muss aber auch sagen, dass die Sache in den Kirchen etwas ungünstig gelaufen ist. Vielleicht ist manchmal eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit sinnvoller. Wir haben da sicherlich eine Chance verpasst, unsere Bemühungen für den Religionsunterricht in Sachsen-Anhalt und das gute Verhältnis zwischen den Kirchen angemessen zu präsentieren.
Warum wird die Wahlpflicht nicht gleich an allen Schulen eingeführt, die Religion einer Konfession und Ethik im Angebot haben? Wie kommen Sie auf die Zahl 18?
Plaga: Das Projekt ist als Versuch für einen begrenzten Zeitraum von wahrscheinlich vier Jahren geplant. Wir wollen herausfinden, ob sich auf diese Weise der Mangel an Religionsunterricht beheben lässt. Außerdem wollen wir Zeit gewinnen, um für unsere Schulen geeignete Religionslehrer zu gewinnen. Ins Projekt werden einige Gymnasien und Gesamtschulen aufgenommen, in denen die Voraussetzung erfüllt ist, dass Religionsunterricht einer Konfession und Ethik bisher als freiwilliges Unterrichtsangebot erteilt wird. Das Projekt soll flächendeckend sein. Es gibt in Sachsen-Anhalt neun Schulamtsbezirke. Wenn man für jedes Schulamt eine Schule mit evangelischem und eine mit katholischem Religionsunterricht rechnet, kommt man auf 18 Schulen.
Warum wollen Sie den Versuch auf Gymnasien und Gesamtschulen beschränken?
Plaga: Bei diesen Schulen ist das Ziel gewissermaßen vor Augen. Es gibt beispielsweise ungefähr 130 Gymnasien und 100 Gymnasial-Religionslehrer. Mit relativ geringem Aufwand müsste es also mittelfristig möglich sein, alle Gymnasien zu versorgen. Für Sekundarschulen stehen uns bisher kaum Religionslehrer zur Verfügung. Im Grundschulbereich läuft noch viel schulischer Unterricht in den Gemeinden.
Vorstöße, die in Richtung einer konfessionsübergreifenden Zusammenarbeit beim Reliunterricht zielten, sind bislang bei der Deutschen Bischofskonferenz meistens auf Zurückhaltung gestoßen. Wie ist es Ihnen gelungen, die Bischöfe von Ihrer Idee zu überzeugen?
Plaga: Unser Vorschlag macht es der Kommission für Erziehung und Schule der Bischofskonferenz leicht zuzustimmen. Wir beharren auf dem konfessionellen und fordern keinen allgemein christlichen oder gemeinsam verantworteten Religionsunterricht. Die andere Konfession hat jeweils Gaststatus, das entspricht den gesetzlichen Regelungen, die schon jetzt in Sachsen-Anhalt gelten. Darüber hinaus haben wir eine Ausnahmeregelung für konfessionsgebundene Schüler einbezogen: Sie können nicht verpflichtet werden zur Teilnahme am Unterricht der anderen Konfession. Wenn katholische Kinder zum Besuch evangelischen Religionsunterrichts verpflichtet worden wären, wäre das für die Bischofskonferenz ein Knackpunkt gewesen. Die evangelische Kirche und das Land sehen diese Ausnahme kritisch. Wenn man sich allerdings die geringen Zahlen der konfessionsgebundenen Schüler vor Augen hält, wird diese Regelung in der Praxis kaum spürbare Auswirkungen haben.
War Ihr Vorschlag völlig identisch mit demjenigen, den Dr. Harms veröffentlicht hat, oder gab es Modifizierungen?
Plaga: Es hat eine einzige Änderung gegeben. In unserem Vorschlag hatten wir gefordert, dass das Kultusministerium an den 18 Projektschulen die erforderliche Zahl von zusätzlichen Lehrern einstellt. Das Ministerium war bereit, die gleiche Zahl neuer Lehrer einzustellen, allerdings an anderen Schulen. Wir haben uns darauf eingelassen und diese Forderung fallen gelassen.
Wie sieht der Zeitplan für die Einführung des Pilotprojektes aus?
Plaga: Das Kultusministerium wollte damit eigentlich zum nächsten Schuljahresbeginn anfangen. Das wird wohl nicht zu schaffen sein. Die derzeitige Überlegung ist daher, zum zweiten Halbjahr des Schuljahres 2000/2001 zu starten.
Interview: Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.07.2000