Wo Kafka durch die Sraßen irrte
Sommerserie 2000/2
Franz Kafka, Rabbi Löw und der Golem sind im jüdischen Prag an jeder Ecke präsent, genauso wie das Stimmengewirr mit Sprachen aus aller Welt. Die Prager Judenstadt stellt einen einzigartigen Komplex von jüdischen Denkmälern dar. Interessierte finden hier auf engstem Raum alles, was mit dem Judentum zu tun hat. Beispielsweise in der Maisel-Synagoge, in der Kultgegenstände gezeigt und erklärt werden. Oder in der Altneu-Synagoge, der ältesten Prags. Sie stammt aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts und ist ein mittelalterliches, zweischiffiges Gebäude. Bis heute werden in dieser Synagoge regelmäßig Gottesdienste abgehalten. Der Legende nach ruhen im Dachgestühl auch die Reste des Golem, den Rabbi Löw zum Schutz der Prager Judenheit geschaffen hatte. Doch wie es halt so mit den eigenen Schöpfungen ist, sie geraten schnell außer Kontrolle. Und so musste der Golem - nachdem er in der Judenstadt randaliert hatte - wieder verschwinden. Rabbi Löw verbot allen, jemals wieder das Dachgeschoss zu betreten, alle hielten sich daran bis auf einen Rabbi, der dennoch hinaufstieg, dieser erneuerte das Verbot jedoch sehr schnell wieder - an das sich die Prager Juden auch heute streng halten. Der Golem ist trotzdem lebendig geblieben, sei es in den Geschichten oder in zahlreichen kleinen oder großen Nachbildungen aus Ton. Eine Geschichte um diese legendäre Figur aus Lehm in aller Kürze: Im Mittelalter hielt sich das Gerücht, dass die Juden an Pessach Chris-tenblut trinken. Und als in Prag ein junges Mädchen verschwand, richtete sich der Zorn auf die Leute in der Judenstadt. Es kam zu einer Festnahme und zu einem Prozess. Rabbi Löw gab dem Golem den Auftrag, das verschwundene Mädchen zu suchen. Der fand sie schließlich in einem entlegenen Dorf. In Prag aber warteten Rabbi Löw und der Angeklagte lange vergeblich, erst im letzten Moment - mitten im Prozess - kam der Golem mit der befreienden Botschaft zurück.
Auf dem Alten Jüdischen Friedhof liegt Rabbi Löw begraben. Zahlreiche Besucher suchen sein Grab auf, hinterlegen kleine Zettel mit Wünschen und Steine - nach jüdischem Brauch werden kleine Steine statt Blumen auf die Gräber gelegt. Der Rundgang über den jüdischen Friedhof beginnt in der Pinkas-Synagoge. Dort befindet sich eine Gedenkstätte, die an die 77 297 Juden aus Böhmen und Mähren erinnert, die von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. 1968 wurde diese Gedenkstätte geschlossen mit der fadenscheinigen Begründung, Hochwasser würde in das Gebäude eindringen - erst seit 1992 ist sie wieder zugänglich. Im neoromanischen Gebäude der Begräbnisbruderschaft schließlich endet der Rundgang, im Inneren werden jüdische Bestattungsbräuche rund um die Bruderschaft dokumentiert.
Neben Rabbi Löw ist Franz Kafka bis heute in besonderer Weise in der Judenstadt gegenwärtig. Die Bauten - viele sehr prächtig und nach dem Abbruch der verwinkelten Judenstadt errichtet - hat Kafka wohl fast alle gesehen. Es ist seine Stadt, hier entstanden viele seiner Werke, die ohne die in Prag gemachten Erfahrungen sicher anders ausgefallen wären. Selbst stand Kafka seinem Werk kritisch gegenüber, alle unveröffentlichten Manuskripte sollten nach seinem Tod verbrannt werden. Es ist Max Brod - einem anderen Prager Juden und Schriftsteller - zu verdanken, dass das Werk dieses Prager Schriftstellers gerettet wurde. Kafka selbst starb 1924 nahe Wien und wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt. Brod starb 1968 in Tel Aviv, an ihn erinnert einen Gedenktafel an der Mauer, die Kafkas Grab gegenüberliegt. Unter anderem schrieb Brod den Roman "Tycho Brahes Weg zu Gott", der am Prager Hof Rudolf II. angesiedelt ist, sowie eine Kafka-Biografie. Holger Jakobi
Informationen über das jüdische Prag sind vor Ort erhältlich, Samstags sind die Einrichtungen wegen des Sabbatgebotes geschlossen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.07.2000