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Auf zwei Minuten

Versöhnende Kraft der Weisheitsblüten

Pater Damian

Pater Damian MeyerDie alte Frau B. war in unserem Dorf allgemein beliebt. Ihr Mann war vor einigen Jahren gestorben, ihre vier Kinder waren erwachsen und versorgt. Jetzt hatte Frau B. genug Zeit, sich um die Kranken und Alten des Ortes zu kümmern. Sie besuchte sie regelmäßig und nahm sich viel Zeit für Gespräche. Sie hatte die Gabe des Zuhörens und des Tröstens. Ihr starker Glaube gab ihr das Geschenk, von sich selbst und ihren eigenen Problemen und Sorgen Abstand nehmen zu können. Dabei entwickelte sie einen befreienden Humor und strahlte Fröhlichkeit und Hoffnung aus. Eines ihrer Lieblingsworte aus der Bibel war ein Spruch aus dem Propheten Jesaja (46,4): "Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet, bis ihr grau werdet, werde ich euch tragen', spricht der Herr." Frau B. wusste sich von Gott getragen, und die Menschen, die ihr begegneten, spürten das. Und sie war eine weise Frau, denn sie hatte begriffen, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt und dass Gottes Kraft im Schwachen mächtig ist.

Nach Naturell und Charakter sind wir alle verschieden, und nicht jedem ist eine optimistische Grundhaltung und Leichtigkeit gegeben. So können wir nicht immer eine spontane Fröhlichkeit ausstrahlen. Dennoch kann die Kraft des Glaubens uns zu Trägern einer starken Hoffnung machen, die sich auf andere Menschen überträgt. Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Deutschlandbesuch 1980 in einer Ansprache an ältere Menschen im Liebfrauendom zu München gesagt: "Die Weisheit verleiht Abstand, aber nicht einen Abstand der Weltferne, sie lässt den Menschen über den Dingen stehen, ohne sie zu verachten; sie lässt uns die Welt mit den Augen - und mit dem Herzen! - Gottes sehen. Sie lässt uns ,Ja' sagen, auch zu unseren Grenzen, auch zu unserer Vergangenheit mit ihren Enttäuschungen, Versäumnissen und Sünden. Denn wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten füihrt! (Röm 8,28). Aus der versöhnenden Kraft dieser Weisheit erblühen Güte, Geduld, Verstehen und jene köstliche Zierde des Alters: der Humor."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.07.2000

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