Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Service

Karl Mays Spätwerk und Radebeul

Sommerserie 2000/3

Ein Relief von Karl May"Das Märchen von Sitara" ist für Karl May ein Gleichnis. Einmal nennt er so einen Stern, eine Welt - wie die unsere - irgendwo im Kosmos, ein andermal verlegt er Sitara sofort sinnbildlich auf die Erde. Auf Sitara gibt es zwei Reiche: Ardistan und Dschinnistan, beide stehen im Widerspruch zueinander. Während Dschinnistan das Bild einer zukünftigen Welt enthält, in der Frieden herrscht und die Menschheit zu wirklichem Fortschritt befähigt wird, ist Ardistan die Welt, wie sie noch immer ist: Kriege, der Kampf Mensch gegen Mensch, Egoismus ... Getrennt werden die beiden Reiche auf Sitara durch Märdistan, "jener steil aufwärtssteigende Urwaldstreifen, durch dessen Baum- und Felsenlabyrinthe der unendlich gefahrvolle und beschwerliche Weg nach oben geht." (Karl Mays Gesammelte Werke Band 34, Seite 29ff)

Karl May, der wie er selbst in seiner Autobiografie "Mein Leben und Streben" schrieb, wurde im "tiefsten Ardis-tan" geboren. In seiner Kindheit erlebte er das Elend der erzgebirgischen Weber und widerstand den Versuchungen Ardistans nicht, Diebstähle und Hochstapeleien ließen ihn mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Dennoch schaffte er den Weg aus der Kleinkriminalität, wenn auch zuerst nur über den Umweg persönlicher Unwahrheiten und Legendenbildungen. Rückblickend sieht er sich später selbst mitten hineingestellt in den Kampf auf dem Stern Sitara, dem Kampf zwischen Ardistan und Dschinnistan, er begreift seine Werke als ein langsames Hinaufsteigen in die menschliche Höhe und entwirft sogar das Bild des Edelmenschens, der eigentlich konträr zur Idee des Übermenschen steht. Leuchtende Gestalt dieser Idee ist Winnetou, der noch einmal zu Beginn dieses Jahrhunderts in "Winnetou vier" - heute "Winnetous Erben" - idealisiert wird.

Das Haus in dem May sein symbolis-tisches Spätwerk schrieb ist seit 1985 wieder für Besucher zugänglich, er selbst lebte dort von 1895 bis zu seinem Tod im Jahr 1912. Nach der Wende kamen aus Bamberg auch die Einrichtungen des Arbeitszimmers, der Bibliothek und des Empfangszimmers mit dem berühmten Gemälde "Das Gewissen" von Sascha Schneider zurück nach Radebeul. Als May dieses Haus bezog stand er auf dem Höhepunkt der Legendenbildung, alle Welt glaubte, dass eben dieser Karl May in Wahrheit Old Shatterhand und Kara Ben Mensi war. Doch die Legenden brachen schnell, für May begann eine bittere Zeit - nicht zuletzt auch der inneren Auseinandersetzung. Einen Ausweg fand er in der symbolischen Sprache, so sind seine damaligen Widersacher in den Romanen des Spätwerkes zu finden. Doch sie sind nicht nur als persönliche Abrechnung zu begreifen, May wollte mehr. Das von ihm selbst Erlittene sollte anderen Menschen helfen, den Weg zu einer besseren Welt zu finden. So gesehen, entwickelte er schon zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Art Weltethos - was damals eher eine total fremde Gedankenwelt war. Wie die Zeitung "Die Welt" kürzlich berichtete, wurde May beim Vatikan denunziert, der Vorwurf stand auf Vermischung der Religionen (Pantheismus). So unter anderem im Buch "Am Jenseits". Stellen, die eine gemeinsame Wahrheit in allen Religionen sehen, finden sich in Mays Spätwerk tatsächlich. So im Titel "Und Friede auf Erden" in dem der Chinese Fu erklärt: "Diese Verschiedenheiten müssen vorhanden sein, weil die Menschen verschieden sind. Ihr Christen liegt ja untereinander selbst im Streit! Es kommt auf den Ertrag, auf das Ende, auf den Abschluss, auf die Summe an. Wenn zwei Rechnungen genau dieselbe Summe ergeben, so ist das ein Beweis, dass beide richtig sind." Später zitiert Fu im Gespräch mit dem christlichen Missionar die Bibel. Als dieser sich über Fus Kenntnisse wundert und ihn fragt, woher diese kommen, meint der Chinese: "Aus dem Gehorsam gegen unsere heiligen Schriften, welche es mir zur Pflicht machen, alle Wege kennenzulernen, die zum Heil führen. Überall, wo ein Tempel oder eine Kirche steht, ist ein solcher Weg geöffnet. Der eine geht ihn vom Tempel, der andere von der Kirche aus; beide aber wandern nach derselben Stelle, wo die Ernte abzuliefern und die Rechnung vorzulegen ist." Sicher werden diese Stellen bei vielen Christen weiterhin auf Widerspruch stoßen, andererseits tritt May in einer Zeit für den Dialog zwischen den Religionen und Völkern ein, in dem in ganz Europa die Kanonen längst geladen waren.

Eine Bestätigung seiner Arbeit fand May kurz vor seinem Tod. Auf Einladung der österreichischen Friedenskämpferin Bertha von Suttner konnte er in Wien seine Ideen noch einmal erläutern. May nannte den Vortrag "Hinauf ins Reich des Edelmenschen". Leider hat sich dieser Vortrag nur in einer Zusammenstellung seiner Witwe Klara May erhalten (Gesammelte Werke, Band 34, Seite 281ff). Wie Clara May berichtet, bekannte sich May in Wien erneut zum Christentum, die Worte konnte sie jedoch nicht wiedergeben.

In einem Interview mit einer Wiener Zeitung betont er nochmals trotzig: "Ich habe rastlos gearbeitet, ich habe mich aus einem Abgrund, in den ich hinabgesunken war, wieder emporgearbeitet. Das behagt meinen Gegnern nicht. Daher ihr Ruf: Zurück in den Abgrund! Es wird ihnen nicht gelingen, mich wieder hinabzustoßen!" Zwei Tage später stirbt May am 25. März 1912 in seiner Radebeuler Villa. Irgendwie hat er recht behalten: Noch heute gehört er zu den beliebtesten Schriftstellern - und das weltweit. Schon zu Lebzeiten wurden seine Bücher in viele Sprachen übersetzt. Übrigens war diese Popularität auch ein Grund für den Vatikan, May nicht auf die Liste der für Katholiken verbotenen Bücher zu setzen, die nach dem Zweiten Vatikanum abgeschafft wurde. Zudem wurde sein Spätwerk auch zu May Lebzeiten selten gelesen.

Holger Jakobi

Anschrift: Karl-May-Museum, Karl-May-Straße 5 in 01445 Radebeul, Tel (03 51) 8 37 30 10

Öffnungszeiten: März bis Oktober dienstags bis Sonntags von 9 bis 17.30 Uhr und November bis Februar von 9. bis 15.30 Uhr

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.07.2000

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps