Urvertrauen zurückgeben
Behindertenwerkstatt Meusdorf
Leipzig (jak) - Christo Kostow betreut die behinderten Menschen im Bereich Buchbinderei der Werkstatt für Behinderte in Leipzig-Meusdorf. Am Tag der offenen Tür, der kürzlich in der Einrichtung des Caritas-Sozialwerkes begangen wurde, präsentierte er die Arbeit seiner Schützlinge nicht ohne Stolz: Unter anderem werden von ihnen bedruckte Bögen fachgerecht beschnitten und geleimt. Vieles geschieht per Handarbeit, aber auch die Technik kommt zum Einsatz. Christo Kostow betont, dass sich die Behinderten gerade durch ihre Arbeit gleichberechtigt fühlen. "Behinderte sind oft abgestempelt, wir hier merken aber, dass sie etwas leisten", sagt Kostow.
Hubert Nolte, der Leiter der Einrichtung, verweist auf die lange Geschichte der Arbeit mit Behinderten in Leipzig. 1969 bildete sich eine Initiative von Eltern, die selbst behinderte Kinder hatten. Mitte der 80-er Jahre wurde dann der Vorläufer der heutigen Werkstatt im Gebäude der Caritas auf der Elsterstraße eröffnet. Was damals mit bescheidenen Möglichkeiten begann, kann heute unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bestehen. Die Werkstatt kann über mangelnde Auftragslage nicht klagen. Hubert Nolte dazu: "Die Auftragslage ist im Moment gut. Dadurch, dass wir uns ein Stück mehr technisiert haben, können wir auch mehr leisten. Zuerst kommt bei uns der behinderte Mensch und dann schon der Auftraggeber."
Eine der neuesten Anschaffungen ist eine Maschine zum Einschweißen von Waren. Der so genannte Horizontal-Schlauchbeutelautomat kann sich optimal an die Erfordernisse der Betriebsabläufe anpassen. Zum Tag der offenen Tür wurden gerade Schulbücher eingeschweißt, zuvor waren es Kalender.
Hubert Nolte betont, dass die Arbeit mit behinderten Menschen Spaß macht, sie seien "klare Menschen". Dies bedeutet, dass sie für Ironie und Spott überhaupt nicht empfänglich sind. Zwar erleben sie Aggressionen untereinander, aber keine Gehässigkeiten wie in anderen Arbeitsabläufen. Weiter betont der Leiter, dass er seine eigene Arbeit und die seiner Mitarbeiter als ein sehr nahes Arbeiten am Menschen versteht. Dabei betrachten alle den Behinderten als eigene Persönlichkeit, die es individuell anzusprechen gilt. Leider, so Hubert Nolte, kommen viele von ihnen aus sozialen Störungen heraus. "Nicht wenige Kinder und Jugendliche haben Jahre hinter sich, in denen sich niemand um sie kümmerte. Wir wollen helfen, ein Stück dieser Erfahrungen auszugleichen", sagt Hubert Nolte. Vor allem einen Verlust haben viele Behinderte mit sich zu tragen, sie verloren ihr Urvertrauen. Hier gilt es immer wieder gegenzusteuern. Eine große Herausforderung für die Betreuer, die es tagtäglich versuchen, ihnen das verlorene Vertrauen neu zu vermitteln. Es gilt zudem, dass die behinderten Menschen die Gemeinschaft und Solidarität untereinander lernen, dass sie freier und zugleich offener werden für den anderen.
Bevor der behinderte Mensch in der Werkstatt arbeiten kann, absolviert er in der Regel ein anderthalb bis zweijähriges Arbeitstraining. Hier können sich die Behinderten ausprobieren, wo ihre besonderen Gaben und Fähigkeiten liegen. Die Arbeit in der Werkstatt selbst beträgt wöchentlich 30 Stunden. Und da das Leben nicht nur aus Arbeit besteht, steht auch die Kultur im Mittelpunkt der Werkstatt. So geht es mal in die Operette, mal ins Theater - Angebote, die übrigens gerne angenommen werden.
Weitere Infos: Caritas-Sozial-Werk, Katholische Werkstatt, Prager Straße 390 in 04289 Leipzig, Tel. (0341) 86 90 80
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.08.2000