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Bistum Görlitz

Blick über den Gartenzaun

Görlitz

Görlitz - Gemeinsamkeiten gibt es einige: Das Gebiet ist überschaubar und zudem nur noch ein Restteil, flächenmäßig auf zwei Bundesländer verteilt, die Prägung der schlesischen Frömmigkeit hat ihren festen Platz und die Bischofsstadt ist die gleiche. Die Rede ist von zwei Nachbarn: dem Bistum Görlitz und der Evangelischen Landeskirche der Schlesischen Oberlausitz.

Nicht nur wegen der ähnlichen äußeren Umstände herrscht in der Ökumene "traditionell ein dichtes Miteinander", wie Hans-Wilhelm Pietz, Provinzialpfarrer für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in seiner Landeskirche, erklärt. Auch die familiäre Atmosphäre der beiden "kleinen Kirchen" trägt dazu bei, dass die Kontakte nicht vor der Haustür halt machen: Die evangelischen und katholischen Christen sowie ihre Würdenträger treffen sich nicht nur bei gesellschaftlichen Anlässen. Im Görlitzer ökumenischen Kirchenchor singen Katholiken und Protestanten zusammen, in Bibelkreisen lesen sie gemeinsam die Heilige Schrift.

Dazu kommen viele Anlässe, etwa das Kriegsgedenken am 1. September oder der Kreuzweg in der Passionszeit, die man gemeinsam begeht. Auch die Kirchenleitungen engagieren sich für- und miteinander. Zweimal im Jahr laden die beiden Bischöfe Rudolf Müller und Klaus Wollenweber zu einem ökumenischen Gesprächskreis Kirche/Wirtschaft ein. Mitarbeiter des katholischen Ordinariats und des evangelischen Konsistoriums treffen sich zum Erfahrungsaustausch.

Mehr über die Geschichte und Entwicklung des evangelischen Nachbarn verrät ein Blick über den Gartenzaun: Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte das heutige Kirchengebiet zwischen Bad Muskau und Tauchritz, Rothenburg und Ortrand zur Evangelischen Kirche in der Provinz Schlesien, die in etwa so groß war wie das alte Bistum Breslau. Weit mehr als zwei Millionen Gemeindemitglieder und fast 1000 Pastoren gehörten dazu. Davon blieben nach dem Krieg westlich der Neiße nur etwa ein Zehntel des Territoriums und die dort lebenden Schlesier übrig. Viele andere Schlesier lebten nach ihrer Vertreibung über ganz Deutschland verteilt.

Die Frage, wie es mit der schlesischen Kirche weiter gehen soll, bewegte die Kirchenführung - gerade wegen der sehr prägenden schlesischen Frömmigkeit ihrer Gläubigen. Ein Drittel des Liedgutes im Gesangbuch geht beispielsweise auf schlesische Christen zurück. Zur Diskussion stand, eine sogenannte Personalkirche zu gründen, in deren Rahmen sich Schlesier in ganz Deutschland zum Gottesdienst treffen, die auf kein Territorium festgelegt ist. Letztlich beschloss man jedoch, als eigenständige Kirche weiter zu existieren und in den verbliebenen Gemeinden um die Bischofsstadt Görlitz eigenes kirchliches Leben zu entfalten.

Dieses wurde von den beiden ersten Nachkriegsbischöfen Ernst Hornig (1947-1963) und Hans-Joachim Fränkel (1964-1979) stark geprägt, wie Hans-Wilhelm Pietz erklärt. Beide hätten sich in der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus engagiert. In Folge dessen "waren sie für das Thema ,Kirche und Recht' besonders wach" und hielten ihren Unmut auch gegenüber der DDR-Führung nicht zurück, erklärt der Theologe. Die Fragwürdigkeit des Rechtssystems hätten sie deutlich angeklagt - was der kleinen Kirche Gewicht gegeben hat. Ihr Name wurde mit Respekt genannt, und viele Pfarrer wollten hier ihren Dienst ausüben. Sie schätzten die entschiedene kirchenpolitische Haltung.

Repressalien blieben nicht aus. Gerade gegen Bischof Fränkel wurden Schmähkampagnen gestartet. Die Staatssicherheit versuchte Einfluss zu nehmen, was ihr punktuell gelang. Daneben gab es viele kleine Sticheleien. So wurde etwa die Teilnahme an ökumenischen Veranstaltungen im Ausland verweigert. Nicht zuletzt musste die Landeskirche 1968 ihren Namen ändern. Bis 1992 hieß sie "Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes". Das Wort "Schlesien" interpretierte die DDR-Führung als revanchistisch. Mitte der siebziger Jahre entspannte sich das Verhältnis - nicht zuletzt durch eine Entschärfung der staatlichen Kirchenpolitik. "Leben und Leben lassen" wurde fortan bestimmender.

Trotz des eigenen Profils der kleinen Kirche "wurde ihre Existenzberechtigung schon seit Kriegsende immer wieder diskutiert", weiß Pietz. Bisher ohne Konsequenzen. Schließlich sind die heute etwa 70 000 Christen in vier Kirchenkreisen zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen.

In den letzten Jahren hat sich die Diskussion allerdings stark verändert. Von 1995 bis 1998 musste die Landeskirche wegen knapper Finanzmittel ihre Strukturen verändern. Neben der Verkleinerung des Konsistoriums und der Synode standen auch die Verringerung der Kirchenkreise und der Pfarrstellen an. Die Umstände haben eine neue Idee angeregt. Seit Februar diesen Jahres denken die Görlitzer Kirchenleitung und die in Berlin-Brandenburg laut über die Schaffung einer großen "Ost-Kirche" nach. Konkret soll es nach der Auskunft von Hans-Wilhelm Pietz allerdings erst in vier bis fünf Jahren werden.

Und selbst dann ist die Landeskirche der schlesischen Oberlausitz bemüht, ihre geschichtlich gewachsene Mentalität und ihre prägende Geschichte zu bewahren. Dazu gehören auch Schwerpunkte des Kirchenlebens wie die Bildungsarbeit, eine traditionell sehr aktive diakonische Arbeit und die deutsch-polnische Verständigung.

Letzteres ist der Landeskirche der schlesischen Oberlausitz als "Brückenbauerkirche" auch stellvertretend für die evangelische Kirche in Deutschland wichtig. Seit 1997 besteht eine Partnerschaft mit der Diözese Breslau der Evangelisch-Augsburgischen Kirche. Gemeindeveranstaltungen, Chortreffen und Freizeiten organisieren die Partner seitdem regelmäßig gemeinsam. Erst im Frühjahr tagten die Synoden beider Kirchen gemeinsam und werteten hier ihre bisherige Partnerschaft aus. Kontakte entstanden auch, als die deutschen Gemeinden zur Zeit des Hochwassers 1997 Hilfe leisteten. Viel Unterstützung geben die deutschen Christen auch im diakonischen Bereich.

Der nimmt im Leben ihrer Kirche einen wichtigen Platz ein - vom letzten Jahrhundert an bis heute. Einrichtungen wie der Martinshof in Rothenburg, eine Heimat für Behinderte oder das Diakoniewerk Salem in Görlitz, das sich heute um die Betreuung alter Menschen kümmert und einen integrativen Kindergarten unterhält, sind seit vielen Jahrzehnten Ausdruck gelebten Glaubens - auch über die DDR-Zeit hinweg.

Das breite Engagement in der Bildungsarbeit gründet in dem Wunsch, Verantwortung zu übernehmen und missionarische Impulse zu setzen - wie etwa im Johanneum, dem evangelischen Gymnasium in Hoyerswerda. Die Kirchenmusikschule Görlitz, an der auch einige Katholiken studieren, und die Erwachsenenbildung mit der Akademie in Görlitz und einem eigenständigen Haus in Jauernick sind in diesem Atemzug zu nennen, ebenso wie die Arbeitsstelle Kirche / Kunst / Tourismus, die besonders in Görlitz unterschiedliche Veranstaltungen, auch Führungen anbietet.

Um zwei Punkte wolle sich die evangelische Landeskirche unter anderem in Zukunft bemühen, erklärt Pietz: Auf ökumenischer Ebene wolle sie sich Gedanken machen, was die Kirchen tun könnten, wenn die EU-Außengrenze zu Polen wegfällt, und wie die Attraktivität der Region gestärkt werden könnte.

Juliane Schmidt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 35 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.08.2000

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