Die gute Erinnerung als Hilfe zur Hoffnung
Pater Damian
Frank B. legte mir in einem längeren Gespräch sein ganzes Leben dar. Er hatte viel Pech und Unglück erfahren: Krankheiten, berufliche Rückschläge, Enttäuschungen, Fehleinschätzungen von Menschen und Situationen, Depressionen, die Trennung von seiner Ehefrau, Konflikte mit dem Gesetz. Sein Leben sei eine große Niederlage, ein einziges Fiasko. Und er sehe auch keine Perspektiven für die Zukunft: "Was kann ich noch viel erwarten? Mit fünfzig ist das Leben gelaufen."
Ob er denn keine Erinnerungen an gute Zeiten und Ereignisse habe, fragte ich ihn. Wir gingen gemeinsam zurück in die Vergangenheit. Frank erzählte von einer relativ problemlosen und glücklichen Kindheit. Mit zwei Geschwistern war er in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Es war ein einfaches und bescheidenes Leben, aber die Eltern gaben ihm liebende Zuwendung und Geborgenheit. Er hatte das Glück, in der Schule Lehrer zu haben, die seinen Drang nach Wissen und Bildung anregten. Bei einem Wettbewerb hatte er sogar einmal für einen Deutschaufsatz einen Preis bekommen. Die ersten Jahre seiner Ehe seien auch sehr glücklich gewesen. Er entsinne sich auch noch genau an die Freude über die Geburt des ersten Kindes ... Ob er sich an ein positives Ereignis aus den letzten fünf Jahren erinnern könne, wollte ich wissen. Ja, er habe einen Schulkameraden, den er jahrelang nicht gesehen hatte, wiedergetroffen. Dieser war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Nachdem Frank ihm seine missliche Lage geschildert habe, habe der Schulfreund ihm großzügig finanziell geholfen.
Können gute Erinnerungen einem helfen, die Not der Gegenwart zu bewältigen? Sind sie nicht eher Flucht in die Vergangenheit, Ausweichen vor der Realität der Gegenwart? Ich glaube, die Erinnerung an Erlebnisse, in denen wir aus der Fülle des Lebens leben konnten, kann uns vielleicht wieder aus eigener Erfahrung die Kraft des Vertrauens geben: Vertrauen in uns selbst, in gute Menschen, Vertrauen auf Gott. Vertrauen, dass doch etwas Verlässliches da ist, aus dem Hoffnung hervorgehen kann. Ein Mitbruder von mir hat es einmal in einer Predigt so formuliert: "Bleibe in den dunklen Stunden deines Lebens dem treu, was du im Licht gesehen hast!"
Wir nennen unsere gottesdienstliche Feier Memoria, Erinnerung, Gedächtnis an Tod und Auferstehung des Herrn. Und wir glauben: Diese Erinnerung ist dichteste Gegenwart und Verheißung der Zukunft.
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.09.2000