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Auf zwei Minuten

Erst bei der Ernte folgt die Trennung

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Pater Damian Mit dem Weizen wächst das Unkraut. In der modernen Landwirtschaft ist das anders. Das Unkraut wird durch chemische Mittel vernichtet, um höhere Produktivität zu erzielen. Damit sind aber weithin auch die blauen Kornblumen und der rote Mohn verschwunden. Wenn Effektivität und Produktivität und "Reinheit" als Denkmuster und Verhaltensregel auf das religiöse Gebiet übertragen werden, kommt es zu gefährlichen Entwicklungen in der Kirche und der Gesellschaft: Zu Intoleranz, ja zu Inquisition und Verfolgung.

Jesus hat in seiner Reich-Gottes-Predigt die Analogie zwischen wirtschaftlicher und geistlicher Fruchtbarkeit anders dargestellt. Im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen lässt der Gutsherr beides zusammen wachsen, den Weizen und das Unkraut. Erst bei der Ernte folgt die Trennung: Erst beim Endgericht wird Gott selbst die große Scheidung zwischen Gut und Böse vornehmen. Wir aber sind aufgerufen, die Praxis Jesu nachzuahmen. Ihm geht es nicht um Effizienz, sondern um Schonung. Er gibt den Sündern eine Chance zur Umkehr, er sieht das Gute und Schöne, das Liebenswerte in jedem Menschen. Er will, dass wir das Böse durch das Gute überwinden und preist die Sanftmütigen selig. Bilderstürmerischer Fanatismus und zerstörender Fanatismus sind nicht Geist vom Geiste Christi.

Wir aber, können wir überhaupt unterscheiden, wer letztlich gut und wer böse ist? Wir können uns selbst mit unseren Fehlern und Schwächen nicht oder nur sehr schwer ändern, schon gar nicht die Menschen unserer Umgebung. Was tun? Uns selbst annehmen und lieben und die Menschen um uns mit all ihren Eigenarten, Stärken und Schwächen.

Eine Geschichte aus der islamischen Tradition stellt diese Haltung so dar: Mullah Nasrudin entschloss sich, einen Blumengarten anzulegen. Er bereitete den Boden vor und pflanzte die Samen vieler wunderschöner Blumen ein. Doch als sie aufgingen, füllte sich sein Garten nicht nur mit seinen ausgewählten Blumen, sondern überall wucherte Löwenzahn. Er suchte Rat bei allen möglichen anderen Gärtnern und probierte alle bekannten Methoden aus, um den Löwenzahn loszuwerden, aber ohne Erfolg. Schließlich ging er den ganzen Weg bis zu Hauptstadt, um beim Hofgärtner am Palast des Sheiks vorzusprechen. Der weise Mann hatte schon viele Gärtner beraten und schlug eine Vielzahl von Mitteln vor, um den Löwenzahn auszurotten, aber der Mullah hatte sie schon alle ausprobiert. Eine Weile saßen sie schweigend zusammen, bis am Ende der Gärtner Nasrudin anschaute und sagte: "Nun, dann schlage ich vor, du lernst, den Löwenzahn zu lieben."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 2 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 09.01.2002

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