Kirche einmal anders
Weltjugendtreffen/1
Das 15. Weltjugendtreffen in Rom ist zu Ende, die Jugendlichen sind wieder nach Hause zurückgekehrt. Was bleibt von diesen Tagen? Wie können sie nachwirken? Zwei Seelsorger äußern ihre Gedanken.
Pfarrer Richard Hentrich (48) aus Küllstedt: Eine Versammlung von so vielen Gleichgesinnten ergab eine Erfahrung von Gemeinschaft, die aufbaute, belebte, mitriss und begeisterte. Wir spürten, dass sich auch die anderen jungen Menschen nach Frieden, Freude, Harmonie und Zufriedenheit sehnten. Dabei bekamen wir in den unzähligen spontanen Kontakten etwas von den Lebensumständen der Menschen in den unterschiedlichsten Regionen der Erde mit: Italien, aber auch Nepal, Kanada, Polen, Chile, Argentinien und Libanon wurden uns ein wenig vertrauter.
Rom ließ uns unmittelbar erleben, was das Katholische, das Allumfassende und Einladende an unserer Kirche ist. Nicht nur das südländische Temperament, sondern wirklich der "Geist von oben" hat der Begegnungsfreude Raum in den Herzen der Jugendlichen verschafft. Wir deutschen Christen konnten auch staunend erleben, wie Getaufte anderer Nationen ihren Gottesdienst feierten und sich in echter Frömmigkeit zum Gebet einfanden. Ich persönlich sehe für solche Großtreffen trotz Strapazen mit Rucksack, Isomatte, Massenverpflegung und Wartezeiten die große Chance, dass gerade junge Menschen durch das gleiche Tun von so vielen anderen in ihrer Überzeugung bestärkt werden, dass der Gott, an den sie glauben wollen, an unserer menschlichen Geschichte mitwirkt und ihr eigenes Leben begleiten will. Wenn möglichst viele Teilnehmer des Weltjugendtages nun nicht "schweigen von dem, was sie gesehen und gehört haben", dann könnte der Funke des Glaubens auch zu Hause dort neue "Lebensenergie" entfachen, wo sich Skepsis, Mutlosigkeit und Enttäuschung eingenistet haben.
Kaplan Ulrich Winter (35) aus Weimar: Wohl fast jeder hat gespürt, dass er Teil einer weltweiten großen und bunten Gemeinschaft ist. Es gilt bewusst zu machen, was das bedeutet. Menschen, die sonst tausende Kilometer weit voneinander entfernt sind, können sich begegnen, sich unterhalten, Adressen austuaschen. Das schafft persönliche Nähe, die Entfernungen und verschiedene Sprachen in den Hintergrund rücken lässt. Hier könnte man ansetzen, um über Vorurteile anderen Völkern gegenüber nachzudenken und diese zu überprüfen.
Das Treffen war ein Massentreffen. Dennoch fühlten sich die meisten wohl in dieser Menge. Mit vielen gemeinsam dasselbe erleben und teilen, das gibt Kraft und Mut. Und es lässt Kirche einmal in einem anderen Licht erscheinen. Die Jugendwallfahrten könnten dadurch gestärkt und attraktiver werden. Aber auch die verschiedenen Felder der kirchlichen Gemeinschaft können von daher den Teilnehmern leichter erschlossen werden.
Eine wichtige Rolle spielte die Musik in ihrer großen Vielfalt. Dies hat die Jugendlichen angesprochen. Daran wird deutlich, dass Singen, Musizieren, eine Band, die Bewegung zum Lied ganz wichtige Akzente einer lebendigen Jugendarbeit sind.
Die Erfahrung vieler Jugendlicher, den Papst persönlich gehört und gesehen zu haben, hat mehr Nähe innerhalb der Kirche bewirkt, die nicht selten in "Oben" und "Unten" aufgeteilt gesehen wird. So ist die Bereitschaft gewachsen, über die Kirche als Volk Gottes und über das Papsttum nachzudenken.
Schließlich hat das Treffen zur Identitätsfindung beigetragen. Was bedeutet es, als Christ zu leben? Nicht nur die vielen verschiedenen Menschen haben da geholfen, sondern auch die gemeinsam gefeierten Gottesdienste. Insofern ist die Frage Jesu verändert und zweifach zu stellen: Für wen hältst du mich? Für wen hältst du dich (als Christ)?
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.09.2000