Zum 80. Geburtstag von Hanns Cibulka
Wertkonservativer Dichter
Wie kaum ein anderer deutschsprachiger Gegenwartsdichter hat Hanns Cibulka die literarische Form des Tagebuchs gepflegt und entwickelt. Seine Ostsee-Tagebücher "Sandornzeit", "Swantow" und "Seedorn" sowie die in Thüringen spielenden Tagebucherzählungen "Dornburger Blätter", "Liebeserklärung in K.", "Das Buch Ruth" und "Wegscheide" fanden in der DDR große Verbreitung. Dabei galt Cibulka sowohl parteitreuen Kulturfunktionären als auch den jungen regimekritischen Literaten gleichermaßen als verdächtig.
Als einer der ersten DDR-Schriftsteller hat er, vor allem in dem Hiddensee-Tagebuch "Swantow" (1982), die Umweltzerstörung bereits eindrücklich dargestellt, als dieses Thema offiziell nicht behandelt werden durfte. Er hat den moralischen Verfall genau registriert und dem plakativ optimistischen Bild einer Gesellschaft, die sich immer höher entwickelt, seine kritische Sicht gegenübergestellt. Dabei hat er Maßstäbe angelegt, die der Eltern- und Großelterngeneration entstammten.
Das wiederum haben ihm die jungen Schriftsteller verübelt. Ihnen war er im künstlerischen wie im politischen Sinne zu angepasst, zu bürgerlich. Aber von dieser Position aus hat er gründlich und engagiert geschrieben. "Wertkonservativ" wird diese Haltung heute genannt.
In "Liebeserklärung in K." (1974) heißt es: "Wer sich nicht mehr erinnert, hat weder Gegenwart noch Zukunft." Im Verlust der Tradition sieht Cibulka eine große Gefahr für die Menschheit. Zu dieser von ihm hochgehaltenen Tradition gehören unter anderm Meister Eckhart, Franz Schubert, Goethe, Gerhard Hauptmann und der Dichter Ezra Pound.
In der griechisch-römischen Antike, im Idealismus der deutschen Klassik und im Christentum sieht Cibulka die Werte verkörpert, die wichtig seien für den Fortbestand der Menschheit. Dabei ist sein Christentum stärker von Goethe als von kirchlichen Vorstellungen geprägt.
Vier Landschaften sind es, die er in seinen Büchern immer wieder aufsucht: Böhmen, wo er geboren wurde und die Kindheit verbrachte; Italien, wo er während des Zweiten Weltkrieges war; Thüringen, wo er lang als Bibliothekar gearbeitet hat; und die Ostsee, die ihm durch Besuche vertraut ist. Er hat immer versucht, das Besondere dieser Gegenden mit ihren kulturellen und geistigen Überlieferungen zu verbinden. Über die verlorene Heimat seiner Kindheit hat er erst 1989 ausführlicher schreiben können ("Am Brückenwehr, 1994). In dem soeben erschienenen Buch "Sonnenflecken über Pisa" stellt er seinen Erlebnissen aus dem Jahr 1943 gegenwärtige Eindrücke gegenüber. Neben Tagebucherzählungen hat Cibulka stets auch Gedichte geschrieben. In ihnen gestaltet er dieselben Themen wie in der Prosa. Auch hier sind Italien, Thüringen und die Ostsee gegenwärtig.
Über Kremenez, den böhmischen Ort der Kindheit, heißt es: "Dort klopfen die Gedanken / nicht mehr wie ein heimatloser Vogel / an das Fenster, / dort deckst du mir / mit deinen Worten den Tisch."
Jürgen Israel
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.09.2000