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Aus der Region

Verschiedenheit soll uns lebendig machen

Leipzig

Bischof Lehmann im Gespräch mit seinen ZuhörernLeipzig (dw) - "Was macht Kirche zur Kirche? Worin müssen die getrennten Kirchen einig sein, damit sie die Spaltung überwinden und einander anerkennen können? Und welche Unterschiede dürfen fortbestehen in einem gegenseitig bereichernden Zusammenleben in versöhnter Verschiedenheit?" Diese Fragen sind nach Ansicht des Mainzer Bischofs Karl Lehmann im ökumenischen Dialog der vergangenen Jahre zu sehr vernachlässigt worden.

In einem Vortrag zum Thema "Konfession als Ballast - christlicher Glaube in getrennten Kirchen" richtete der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz an seine Zuhörer in der Leipziger Nikolaikirche einen leidenschaftlichen Appell, die Trennung als Herausforderung zu verstehen und anzunehmen. "Wir sollten so leben, dass uns die Verschiedenheiten lebendig machen und uns gegenseitig bereichern, so dass wir aneinander wachsen", sagte er vor Christen unterschiedlicher Konfession.

Es sei aber wenig hilfreich, über theologisch Trennendes in diplomatischer Höflichkeit zu schnell hinwegzugehen, wie es in den letzten 25 Jahren häufig geschehen sei. "Wir dürfen das, wofür viele unserer Vorfahren Haus, Hof und Leben verloren, nicht leichtfertig und überheblich beiseite schieben. Wir müssen das intellektuell wach und glaubwürdig aufarbeiten", forderte Lehmann. Es sei die Chance heutiger Christen zu zeigen, was die streitenden Parteien der Reformationszeit wirklich meinten und an welchen Punkten man damals aneinander vorbei redete. Mit der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre seien die katholische Kirche und die Kirchen augsburgischen Bekenntnisses einen entscheidenden Schritt vorangekommen beim Abbau Kirchen trennender Unterschiede. Bei dem Thema, das einst Ausgangspunkt der Trennung war, wurden Unterschiede nicht einfach weggewischt. Sprachliche Unterschiede und die aus der Tradition begründete jeweils unterschiedlichen Zugänge zur Rechtfertigung blieben durchaus erhalten, sind aber heute kein Grund mehr, die Spaltung zu verfestigen. Das Ausmaß dieses Ereignisses ist nach Lehmanns Auffassung von den Christen in Deutschland noch nicht hinreichend erkannt worden.

Aufarbeitungsbedarf sieht er nun vor allem in der Frage des Amtsverständnisses. Während die lutherische Kirche davon ausgehe, dass "die rechte Verkündigung des Evangeliums und die rechte Spendung der Sakramente" als unverzichtbare Gemeinsamkeit zwischen den Kirchen ausreiche, zähle für katholische und orthodoxe Kirche "eine stärkere Einheit in den fundamentalen Strukturen des Amtes" zu den wesentlichen Voraussetzungen.

Es sei sehr schwierig und kompliziert zu entscheiden, bis zu welchem Grade diese Einheit gehen müssen, und inwieweit die katholischen und die orthodoxen Christen an Vorgaben ihrer Kirche gebunden sind, die sie nicht einfach ändern können. Seit den 80er Jahren liege die ökumenische Theologie in dieser Frage brach, bedauerte der Mainzer Bischof.

In anderen Bereichen sah er dagegen durchaus Fortschritte. Insbesondere verwies er auf die zahlreichen gemeinsam veröffentlichten Dokumente der Kirchen zu gesellschaftspolitischen Fragen. Die neuen Verletzungen, die durch das neue Dokument der Glaubenskongregation ausgelöst wurden, bedauerte er ausdrücklich. Er bat seine evangelischen Zuhörer um Gelassenheit im Umgang mit diesem Schreiben, das eigentlich keine Neuigkeiten beinhalte.

"Das eigentliche Problem liegt nicht in dem, was drinsteht, sondern in dem, was nicht drinsteht, sagte Karl Lehmann. Wesentliche Konzilsaussagen zur Ökumene kämen in dem Dokument nicht vor. Beispielsweise habe das Konzil sich ausdrücklich von der Aussage distanziert, dass die Kirche Jesu Christi ausschließlich in der katholischen Kirche verwirklicht sei. Stattdessen sei betont worden, dass andere Gemeinschaften an dieser Kirche teilhaben und dass sich auch außerhalb der Kirche "Elemente der Heiligung und Wahrheit" fänden. Mit der Forderung, die Güter der anderen Kirchen anzuerkennen, hochzuschätzen und sich selbst zunutze zu machen, sei der Anspruch katholischer Exklusivität abgelehnt. Lehmann vermisst in dem Schreiben der Glaubenskongregation nicht zuletzt die Selbstkritik der katholischen Kirche. Nicht erwähnt werde etwa, dass die katholische Kirche die ihr geschenkte Fülle an vielen Stellen verdunkelt habe und dass sie Kirche nur gemeinsam mit den anderen Kirchen vollständig zum Ausdruck bringen könnte. "Die Wunde der Spaltung liegt nicht nur bei den anderen, wir haben selbst Anteil daran. Die Spaltungen sind ein Hindernis, die Gnaden Gottes wirksam werden zu lassen", sagte er. Die Fülle der Katholizität sei so schwieriger zu leben.

Hoffnung machte er seinen Zuhörern mit seinem Bekenntnis: "Ich bin überzeugt, dass die ökumenische Bewegung vom Geist Gottes kommt. Uns ist da etwas geschenkt, was wir trotz unserer Ungeschicklichkeiten nicht zerstören können, sonst wäre das schon x-mal geschehen."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 39 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.09.2000

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