Aus der Region
Alfred Hoffmann, Görlitzer Seelsorgeamtsleiter
Im Interview
Gut zehn Jahre nach der politischen Wende in der DDR liegt mit der Doktorarbeit des Görlitzer Seelsorgeamtsleiters Alfred Hoffmann "Mit Gott einfach fertig" erstmals eine größere wissenschaftliche Arbeit über die Bedeutung des staatlich verordneten Atheismus in der DDR vor. Der Tag des Herrn sprach mit Hoffmann, der in Golßen (Niederlausitz) aufwuchs, über persönliche Assoziationen zu diesem Thema und über die Zukunft von Atheismus und christlichem Glauben.
Herr Ordinariatsrat Hoffmann, was hat Sie an dem Thema gereizt?
Als mich unser Bischof für die Promotion delegierte, wollte ich mich mit den Fragen des heutigen Menschen nach Gott auseinandersetzen. Auf Bitten meines Doktorvaters, Professor Dr. Konrad Feiereis, übernahm ich dann aber die Aufgabe, über die Verneinung Gottes durch das SED-Regime, also über den Atheismus im Marxismus-Leninismus zu arbeiten. Feiereis, der sich als Professor am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt während der DDR-Zeit über viele Jahre intensiv mit dem Atheismus auseinandergesetzt hatte, war dies ein Anliegen. Denn in der Wendezeit war viel nach den Machenschaften der Stasi gefragt worden, aber nicht nach den philosophisch-ideologischen Grundlagen dieses Systems. Als ich mich dann an die Arbeit machte, war ich überrascht, wie interessant das war.
In welcher Hinsicht?
Die Thematik ist mit Herzblut gelebte Geschichte. Und zwar auf Seiten der Marxisten genauso wie bei den christlichen Philosophen. Es ging um zwei Lebensentwürfe, um Weltanschauungen, an denen das eigene Leben hing. Das habe ich in vielen der von mir untersuchten Texte gemerkt. Ein Beispiel: Wenn sich der Leiter des Zentrums für Marxismusforschung an der Gregoriana in Rom, Gustav A. Wetter, und der Marxist Olof Klohr, der für kurze Zeit einen Lehrstuhl für wissenschaftlichen Atheismus in Jena innehatte und später ein Institut für Atheismus-forschung in Rostock-Warnemünde leitete, bei Tagungen begegneten, warfen sie sich gegenseitig Systembefangenheit vor und attakierten sich scharf. Als Menschen hatten sie aber offensichtlich Respekt voreinander.
Was haben Sie persönlich als Christ für Erfahrungen mit dem Atheismus der DDR gemacht?
Ich hatte während meiner Schulzeit eine Klassenlehrerin, die absolut "rot" war. Ich bin nicht in der FDJ gewesen. Ich bin nicht zur Jugendweihe gegangen und konnte in der Folge auch nicht die Erweiterte Oberschule besuchen, um das Abitur zu machen. Und dies, obwohl ich die entsprechenden Leistungen hatte. Ich habe dies jedoch innerlich akzeptiert. Als Christ war dies eben so, das war für mich klar. Meine vom Sozialismus überzeugte Klassenleiterin hat mich jedoch geschätzt. Sie hat daran gelitten, dass es so viele Mitläufer in der DDR gab und so wenig von der kommunistischen Idee Überzeugte.
Sie haben ihre Promotion mit dem Titel "Mit Gott einfach fertig" überschrieben. Glauben Sie, dass zu DDR-Zeiten viele Menschen "mit Gott einfach fertig" waren und dass es heute viele Leute gibt, für die dies gilt?
Der Titel meiner Arbeit gibt ein Wort von Friedrich Engels über die sozialistische Arbeiterschaft wieder. Viele Menschen in der DDR kannten Gott gar nicht mehr, haben sich also auch nicht von ihm "befreit". Ob und wie viele Menschen damals und heute mit Gott fertig sind, ist schwer zu sagen. Es ist ja schließlich immer wieder ein "Sich-auf-den-Weg-machen" zu Gott. Begegnet bin ich schon Menschen, die mit der Kirche fertig sind, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, und Menschen, die von Gott nichts erfahren haben und heute auf der Suche nach ihm sind.
Nun ist ja zumindest der praktische Atheismus kein ostdeutsches Phänomen? Ist der Atheismus in unserer Gesellschaft im Vormarsch?
Schon in den 50-er Jahren gab es das geflügelte Wort, dass im Osten der Materialismus gelehrt, im Westen aber gelebt werde. Nach Auffassung des bedeutenden katholischen Marxismus-Kritikers Gustav Wetter entsprach die atheistische Grundthese des Marxismus schon damals der Anschauung der wohl überwiegenden Mehrzahl der westlichen Durchschnittsbürger, sofern sie nicht positiv religiös und christlich waren - nämlich, dass außer der Materie nichts existiert und dass die ganze Welt von selbst geworden ist. Diese Ansichten scheinen bis heute tatsächlich auf dem Vormarsch zu sein.
Gibt es zwischen der in der DDR herrschenden atheistischen Ideologie und den heute dominanten gesellschaftlichen Auffassungen Parallelen?
Mir fällt auf, dass Argumente, die von den Kommunisten gebraucht wurden, im Westen weiterleben. Zum Beispiel, dass man Kirche und Politik strikt trennen müsse, was auf ein totales Abdrängen von Christsein und Kirche ins Private hinausläuft. Oder die Meinung, Wissenschaft und Glaube hätten absolut nichts miteinander zu tun. Ich habe die tiefe Sorge, dass, wenn eines Tages das Grundgesetz geändert wird, von der Verpflichtung gegenüber Gott kein Wort mehr drin steht. Die Diskussion um entsprechende Passagen in der Grundrechtscharta der Europäischen Union, die derzeit erarbeitet wird, zeigt entsprechende Tendenzen. Die Kirche hat in den letzten 2000 Jahren mit Sicherheit bedeutende Fehler gemacht und große Schuld auf sich geladen. Aber dies kann kein Grund sein, die Erinnerung an die Verantwortung gegenüber Gott überall herauszudrängen. Wie will ich zum Beispiel die unantastbare Würde des Menschen ohne Gott begründen?
Glauben Sie, dass es mit dem Sozialismus ein für allemal vorbei ist?
Ich glaube nicht, dass die sozialistischen Ideen erledigt sind, weil die Probleme, die in Russland und anderen Ländern dazu geführt haben, nicht beseitigt sind. Zudem ist soziale Gerechtigkeit auch ein typisch christliches Anliegen. Die Zeit des ideologischen Atheismus ist aber vorbei.
Sollten Christen und Marxis-ten das Gespräch suchen?
Ich denke schon, dass es gut ist, gemeinsam zu fragen: Wie können Christen und marxistische Atheisten an einer menschenfreundlichen Welt bauen. Dies geht aber nur, wenn Marxisten ihre Klassenkampfideologie ablegen und sich auf eine ehrliche Diskus-sion einlassen. Ich habe da keine Berührungsängste.
Interview: Eckhard Pohl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.10.2000
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.10.2000