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Auf zwei Minuten

Gottesbilder

Pater Damian

Pater Damian MeyerNicht wenige Menschen sind der Meinung, das Christentum sei eine Weltanschauung beziehungsweise eine Ideologie neben anderen. In einer Ideologie entwirft man ein Bild (griechisch: eidolon, Idol) von der Wirklichkeit, unter das man die Wirklichkeit dann zwingt, wenn sie mit diesem Bild nicht übereinstimmt. Ideologien wollen alles umfassend und vollständig aus einem Ansatz heraus erklären.

Dient im Christentum nun der Begriff "Gott" als der eine Ansatz, von dem her und mit dem alles erklärt werden kann? Das wäre ein arges Missverständnis. Im Christentum entwirft nicht der Mensch sich ein Bild von Gott, sondern Gott ist es, der sich den Menschen offenbar macht. Gott ist unverfügbar und steht nicht den Gedanken, Ideen und guten oder schlechten Absichten der Menschen zur Verfügung.

Der zweite Teil des ersten Gebotes verbietet daher die bildliche Darstellung Gottes: "Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde" (Ex 20,4). Im Volk Israel hat sich klar die Auffassung durchgesetzt, dass das Bilderverbot jede Abbildung von Jahwe verbiete.

Das Christentum ist Israel in diesem Verbot bildlicher Darstellungen nicht gefolgt. Trotz mancher Vorbehalte und unter heftigen Auseinandersetzungen gab es und gibt es bildliche Darstellungen von Gott. Der Hintergrund: Gott lebt in Jesus Christus sein Gottsein auch auf menschliche Weise. Das menschliche Antlitz Jesu ist das Antlitz Gottes, es ist "Ikone des Vaters". Soweit es sich um bildliche Darstellungen Jesu Christi handelt, ist das wohl kein Problem. Wenn aber Gottvater als Greis mit langem weißen Bart, als Hoher Priester, als Werkmeister und Füger des Kosmos ins Bild kommt - werden dann unsere Vorstellungen nicht allzu sehr festgelegt?

Das biblische Bilderverbot ist eine beständige Mahnung, uns keine fixierten Gottesvorstellungen zu machen. Das eigentliche Problem sind unsere mentalen Gottesbilder: Gott als der nur "liebe Gott" und der bequeme Gott, Gott als der überfordernde und Angst einjagende Gott, Gott als Aufpasser und Oberpolizist, Gott als Lückenbüßer ... Alle unsere theologischen Aussagen über Gott sind nur Aspekte des unbegreiflichen und unsagbaren Gottes.

Das Bild eines zehnjährigen Mädchens drückt diese Wahrheit treffend aus. Das Kind hatte eine bunte Schöpfungslandschaft mit vielen Früchten, Blumen und Pflanzen gezeichnet, die nach oben - in den Himmel - wachsen. In der Mitte des Bildes steht ein großer, leerer Stuhl. Auf dessen Sitzfläche sind drei Kreuze eingezeichnet. Darunter hatte das Mädchen geschrieben: "Hier sitzt Gott auf seinem Thron." Die drei Kreuze besagen: Wie Analphabeten beherrschen wir diese "Schrift", mit der man Gott beschreiben kann, nicht.

P. Damian Meyer OP

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.10.2000

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