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Aus der Region

Die Hüter der schlesischen Vergangenheit

Schlesien

Jósef Pater empfängt die deutschen ArchivleiterBitte, kommen sie weiter!" Józef Pater geht den deutschen Kirchenarchivaren über knarzendes Parkett voraus durch die verwinkelten, schwach beleuchteten Gänge des Breslauer Diözesanarchivs und achtet darauf, dass alle zusammenbleiben. Der Platz für die Schätze, die der polnische Priester bewahrt, ist knapp. So sind die Regale für Urkunden, Briefe und Kirchenbücher in den letzten Jahrzehnten immer enger zusammengerückt. Die Elisabeth-Schwester Evangelista folgt der kleinen Gruppe, die ihre jährliche Arbeitstagung in der Nähe von Görlitz zu einer Exkursion über die deutsch-polnische Grenze genutzt hat. Mit einem sanften Lächeln behält auch sie die Archivare fest im Blick.

Blindes Vertrauen ist selbst bei Fachleuten nicht angebracht, hatte Józef Pater seinen Besuchern bei der Begrüßung in seinem Arbeitsraum zuvor erläutert. Sogar ein Professor sei bereits einmal der Versuchung erlegen, sich im Breslauer Diözesanarchiv eine wertvolle Handschrift in die Tasche zu stecken, wusste er zu berichten. An der Grenze fanden die Zöllner sie in seinem Gepäck. Die älteste Pergamenturkunde aus dem Bestand des Archivs, eine Schutzurkunde des alten Bistums Breslau aus dem Jahr 1155, ist ebenfalls verschwunden, allerdings nicht von Langfingern entwendet, sondern in den Wirren der Nachkriegszeit verloren gegangen. Im Zweiten Weltkrieg waren die Archivalien in verschiedene kleinere Städte des Umlandes ausgelagert worden, und so manche Kiste ist danach nicht zurückgekehrt. Erst kürzlich fand Józef Pater eine "seiner" Pergamenturkunden in einem Breslauer Antiquariat. Der Händler verkaufte ihm das Stück, wollte aber um keinen Preis seine Quelle verraten.

Fehlendes Geld für den Erhalt der Urkunden und Aktenbestände machen Pater und seine Mitarbeiter durch Fleiß und Improvisationstalent wett. Schwester Evangelista lässt sich bei einem Fachmann der Breslauer Universität als Restauratorin ausbilden. Die schadhaften Stellen der Schriftstücke bessert sie fachgerecht mit Mehlkleister und japanischem Papier aus. Die Heftlade, in die sie im Archivkeller die Seitenbündel der Bücher zum Nähen einspannt, ist alt, aber funktionstüchtig. Das Einbandpapier für die alten Kirchenbücher stellt sie selbst her. "Schwester verdient sich Himmelreich", sagt ihr Chef schmunzelnd. In der Tat hat die junge Frau jede Menge zu tun. Allein 12 000 mittelalterliche Pergamenturkunden und 40 000 Kirchenbücher, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, lagern hier. Selbst dem Leiter des reich bestückten Paderborner Bistumsarchiv entlocken diese Zahlen ein anerkennendes Nicken. Besonders die Zeit nach der Auslagerung hat ihre Spuren hinterlassen. Die russischen Besatzer sind nicht eben pfleglich mit den Archivalien umgegangen, erzählt Józef Pater, zum Teil haben sie sogar Barrikaden daraus errichtet.

Die zehn Archivleiter aus den Bistümern der Kirchenprovinzen Paderborn, Berlin und Hamburg sind keinesfalls die ersten Deutschen, denen Józef Pater das Archiv zeigt. Das Interesse deutscher Forscher ist in den letzten Jahren stetig größer geworden. Besonders eindrucksvoll ist der Ansturm heimatvertriebener Hobby-Forscher, die ihrer Familiengeschichte auf den Grund gehen möchten. Der Archivleiter freut sich allerdings mehr über die wachsende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten, die hier entstehen. Den einen oder anderen aus der Besuchergruppe hat er schon früher in seinem Archiv gesehen oder am Telefon gesprochen.

Gotthard Klein aus Berlin schrieb im Vorfeld der Seligsprechung Bernhard Lichtenbergs seine Doktorarbeit über den gebürtigen Schlesier und suchte in Breslau unter anderem nach Dokumenten über dessen Studienzeit. Das Bistum Hildesheim ist insbesondere durch die Person Kardinal Adolf Bertrams mit der Diözese Breslau verbunden. Aufschlussreich ist nicht zuletzt der Briefwechsel des Kardinals mit Adolf Hitler, der im Archiv aufbewahrt wird. Die intensivsten Kontakte pflegt wohl der Archivleiter des Breslauer Tochterbistums Görlitz. Schon zu DDR-Zeiten hat Prälat Peter Canisius Birkner die Zusammenarbeit mit Józef Pater gepflegt. Diesmal kann der polnische Priester seinem Görlitzer Kollegen allerdings nicht helfen: "Über Kapitelsvikar Ferdinand Piontek, den ersten Görlitzer Bischof, haben wir hier nichts im Archiv."

Mehr Erfolg verspricht da die Suche im Breslauer Staatsarchiv, einer zweiten Etappe der Archiv-Exkursion. Dieses Archiv, das bis vor wenigen Jahren für deutsche Forscher nur schwer zugänglich war, ist auch für die anderen eine echte Fundgrube. Archivleiterin Dorota Sokorowska hat einige archivalische Kostbarkeiten für die Gäste zusammengestellt. Vorsichtig streichen die Männer zum Beispiel über das feine Pergament der päpstlichen Kanonisationsurkunde der heiligen Hedwig aus dem Jahr 1267 und reichen das Dokument mit spitzen Fingern weiter.

Das Original der Legenda Maior, der Lebensbeschreibung Hedwigs von Schlesien aus dem Jahr 1300, findet sich im Breslauer Diözesanmuseum, das ebenso wie das Archiv und die Archivbibliothek zum Einflussbereich von Józef Pater gehört. Die dortige Dauerausstellung enthält er seinen Gästen ebensowenig vor wie die Sonderexponate zur Gründung des Bistums Breslau vor 1000 Jahren. Zielsicher führt er sie zu einem der ältesten Archivschränke der Welt. Beim Anblick des Möbelstücks aus schwarzem Eichenholz wird den Betrachtern deutlich, welcher Wert Urkunden vor mehr als 500 Jahren beigemessen wurde. Der vier Tonnen schwere Archivschrank ist mit drei Schlössern verschließbar. Er ließ sich nur öffnen, wenn alle drei Domherren, die die Schlüsselgewalt hatten, anwesend waren. 37 Florenen soll der Schrank im Jahre 1455 gekostet haben, dafür konnte man damals ungefähr acht Pferde, 120 Ochsen und 800 Schafe kaufen, weiß Józef Pater. Vor einigen Jahren bekam er von einem amerikanischen Museumsdirektor ein verlockendes Kaufangebot. "Wir geben Ihnen eine Kopie und soviel Geld, dass Sie das ganze Museum restaurieren können", hatte der Amerikaner gesagt. Pater gab ihm dennoch einen Korb: "Verkaufen Sie mir Ihre Mutter. Sie bekommen eine Kopie", gab er zur Antwort.

Die Schätze, die er bewahrt, sind für Józef Pater Teil seines Lebens geworden. Die Besucher aus Deutschland merken das beispielsweise, wenn sie ihn von seiner Archivarbeit zu kommunistischen Zeiten erzählen hören. Im Winter verbrachte er oft Stunden im Mantel und mit Mütze auf dem Kopf hier, wenn es kein Heizmaterial gab. Die historischen Spannungen zwischen Deutschen und Polen treten im Blick auf das reiche Kulturerbe, dem er sein Leben widmet, in den Hintergrund.

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.10.2000

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