Wenn du Almosen gibst
Pater Damian
"Wenn du Almosen gibst, lass es nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden ...Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben, und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten" (Mt 6,2-4). Almosengeben, Beten und Fasten, diese drei Dinge galten im Judentum als besondere Kennzeichen der Frömmigkeit. Mit dem Wort "Heuchler" verbinden wir nach heutigem Sprachgebrauch Menschen, bei denen Wort und Tat nicht übereinstimmen, die nur so "tun als ob". Die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes hypokrites bezeichnet aber den Schauspieler, einen Menschen also, der bei der Wahl seiner Gesten, seines Lächelns, seiner Ernsthaftigkeit, seines Auftrittsortes usw. auch an deren Wirkung in der Öffentlichkeit denkt. Das Evangelium warnt nicht einfach vor den Pharisäern, sondern vor einer Haltung, die offensichtlich schon in den urchristlichen Gemeinden eine reale Gefahr darstellte.
Und wie steht es mit uns? Ist es uns unangenehm, wenn andere von unserer Großzügigkeit erfahren? Erwarten wir nicht zumindest den Dank derer, denen wir helfen? Sicher, es gibt sie immer noch, die anonymen Spender, die ihre Namen nicht in Listen wiederfinden möchten. Jesus fordert im Gegensatz zu publikumswirksamer Darstellung der eigenen Frömmigkeit eine diskrete Frömmigkeit. Wenn die linke Hand nicht wissen darf, was die rechte tut, dann kann der Mensch mit seinem Handeln auch nicht vor Gott scheinen wollen. Dann weiß er gerade vor Gott nicht, was er Gutes getan hat, wie es die Rede vom Weltgericht (Mt 25,31-46) zeigt.
Eine chassidische Geschichte stellt das so dar: Ein Mann in Sussjas Stadt sah, dass er sehr arm war, und legte ihm jeden Tag einen Zwanziger in den Teffellinbeutel damit er sein und der Seinen Leben zu fristen vermöchte. Seither wuchs der Wohlstand des Mannes von Mal zu Mal. Je mehr er besaß, um so mehr gab er an Sussja, und je mehr er ihm gab, um so mehr besaß er. Sussja war ein Jünger des großen Maggid. Der wohltätige Mann sagte sich: Wenn schon die Gabe an den Schüler so vielfältig gelohnt wird, welch ein Reichtum würde über ihn kommen, wenn er den Meister beschenken würde. Es gelang ihm, dem Maggid eine ansehnliche Gabe zukommen zu lassen.Von diesem Augenblick an schwand sein Wohlstand mehr und mehr, bis aller Gewinn der gesegneten Zeit dahin war. In seiner Betrübnis erzählte er das dem Rabbi Sussja. Sussja antwortete ihm: "Sieh, solange du gabst und nicht hinsahst, wem du gibst, sondern Sussja war dir recht oder ein anderer, so lange gab auch Gott dir und sah nicht hin. Als du aber begannst, dir edle und auserlesene Empfänger zu suchen, tat Gott dergleichen."
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.10.2000