Einige fühlen sich von den Kirchgemeinden im Stich gelassen
Bahnhofsmission Deutschland
Leipzig (kh) - Einige Bahnhofsmissionen in Deutschland fühlen sich von den kirchlichen Gemeinden im Stich gelassen. Das beklagten katholische und evangelische Verantwortliche von hundert Einrichtungen auf ihrer Jahrestagung im fränkischen Vierzehnheiligen. Sie baten die Pfarreien um "tatkräftige ideelle, personelle und materielle Unterstützung". Der Tag des Herrn fragte Mitarbeiter von Bahnhofsmissionen in den Bistümern Dresden-Meißen, Magdeburg und Görlitz nach ihrem Verhältnis zu den Pfarrangehörigen vor Ort. Die Antworten fielen durchwegs positiv aus.
"Im Stich gelassen" sei ihr als Formulierung zu hart, meint etwa Schwester Bernadette Böhm, die zusammen mit Johannes Böttger die ökumenische Bahnhofsmission in Chemnitz leitet. Immerhin habe diesmal "jede zweite Gemeinde" Erntedankgaben wie Kaffee oder Kondensmilch überreicht. "Davon leben wir ein halbes Jahr", unterstreicht Böhm. Auch Einzelpersonen unterstützten die Arbeit der Einrichtung, spendeten Nahrungsmittel, Kleidung und Geld. Die "öffentliche Kirche" hingegen habe die Bahnhofsmissionen "zu wenig im Blick", bedauert Schwester Bernadette. "Da vertut man eine Chance", ist die Ordensfrau überzeugt. Schließlich sei Kirche am Bahnhof "Kirche in Reinkultur" - wie überall, wo sich jemand um Not leidende Menschen bemühe. Wenig Grund zu klagen hat auch Barbara Weber. Die katholische Leiterin der Bahnhofsmission Halle ist "überwältigt" von der Spendenbereitschaft in den Pfarreien. Die Bahnhofsmission habe dieses Jahr zu Erntedank so viele Gaben bekommen, dass sie sogar einen Teil an andere soziale Einrichtungen habe abgeben müssen. Trotzdem stapelten sich noch "kistenweise" Äpfel. Auch zu Weihnachten brächten Gemeindemitglieder Wollsocken, Handschuhe und Schals vorbei, an Ostern spendierten sie Süßigkeiten für die Osternester. Außerdem arbeiten laut Weber mehr als 30 Frauen ehrenamtlich in der Bahnhofsmission mit. Ferner soll dort im nächsten Jahr zum zweiten Mal ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert werden.
Dürfte Michael Oertel, kommissarischer Leiter der Bahnhofsmission Leipzig, den Pfarreien eine Note für ihre Mithilfe geben, so bekämen sie eine Zwei für ihr Engagement. Die Zusammenarbeit funktioniere, sagt Oertel, sei aber "sicherlich ausbaufähig" - auf beiden Seiten. Und wie sieht dieses als "gut" bewertete Miteinander konkret aus? "Pfarrer kommen zu Andachten in die Bahnhofsmission, junge Gemeindemitglieder absolvieren ein Praktikum bei uns oder wir werden eingeladen, uns vorzustellen", berichtet Oertel. Darüber hinaus erhielten einzelne Pfarreien den Freundeskreisbrief der Bahnhofsmission.
Von den Gemeinden im Stich gelassen fühlt sich auch Peter Cording nicht. "Da ist schon Interesse da", sagt der Mitarbeiter der Görlitzer Bahnhofsmission. Firmlinge würden sich gerne einmal die Arbeit vor Ort ansehen, Senioren informiere er in Vorträgen über die Aufgaben der Bahnhofsmission, ihre Geschichte sowie über Umsteigehilfen, die sie biete. Auch Geld- und Sachspenden aus den Gemeinden treffen immer wieder bei Cording ein. Die Borromäerinnen vom St.-Carolus-Krankenhaus versorgen seine Hilfseinrichtung sogar täglich mit Brot, Wurst, Obst, Butter und Quark. So negativ wie manche ihrer Kollegen sieht auch Adelheid Bornholdt, Leiterin der Magdeburger Bahnhofsmission, das Verhältnis zu den Gemeinden nicht. Wenn zum Beispiel bei Festen etwas vom kalten Büfett übrig bleibe, gäben es Pfarrangehörige bei ihr ab. Andere äußerten den Wunsch, einfach mal "gucken" zu kommen. Einmal habe ein evangelischer Pfarrer die Kollekte vorbeigebracht. "Das könnte öfter sein", meint Bornholdt und lacht.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.10.2000