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Bistum Dresden-Meißen

Biedenkopf über Glauben und Marktwirtschafft

Leipzig

Leipzig - Der Referent ist würdig, der Ort denkwürdig und das Thema provozierend fragwürdig. Christlicher Glaube und Christsein in der Marktwirtschaft rechnen sich nicht, behauptete der Titel des letzten Abends in der Vortragsreihe "Christlicher Glaube im 3. Jahrtausend" in der Leipziger Nikolaikirche. Der Vortragende, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, widerlegte diese These mit gewohnter, vorlesungsreifer Rhetorik. Ein großes Publikum, das der Einladung von Theologischer Fakultät, Ökumenischer Stadtakademie und evangelisch-lutherischer Kirche gefolgt war, hörte seine klare Argumentation.

Christsein und Marktwirtschaft seien durchaus miteinander vereinbar, so der Politiker. Wenn auch nicht bedingungslos. Denn die soziale Marktwirtschaft als eine von Menschen geschaffene Ordnung müsse wesentliche Grundbedingungen erfüllen. Sie müsse die Freiheit sichern, Gerechtigkeit herbeiführen und Solidarität praktizieren. Doch das funktioniere nur, wenn die Regeln der Marktwirtschaft ständig an die Wirklichkeit angepasst werden, ohne jedoch den Sinn der Regeln aufzugeben, erklärte Biedenkopf. Stichwort Alterssicherung: "Wenn das alte System nicht geändert wird, werden meine Enkel es als ungerecht empfinden, wenn sie die Alterssicherung für Leute erbringen sollen, die keine Kinder haben", so der Ministerpräsident.

Aufgabe der Politik sei es, die Regeln für eine menschenwürdige Marktwirtschaft, in der sozial ungerechte Ungleichheiten gedämpft werden, zu schaffen. Die soziale Komponente sei der Marktwirtschaft immanent und mache sie deshalb vereinbar mit dem christlichen Glauben, dozierte Professor Biedenkopf. Der Markt als solcher könne keine Gerechtigkeit herstellen. Dort gehe es einzig darum, das beste Geschäft zu erzielen. So wie im sportlichen Wettbewerb nicht alle gleichzeitig durchs Ziel laufen, gibt es auch im wirtschaftlichen Wettbewerb Starke und Schwache. "Gleichartigkeit wird es nie geben, auch wenn alle die gleichen Chancen haben", erläuterte Biedenkopf. Wer Gleichheit wolle, schaffe Unfreiheit.

Unakzeptabel allerdings sei es, wenn Ungleichheit dahin führt, dass Menschen am Existenzminimum leben müssen. Dort greife die Sozialpolitik. Außerdem werden Vielverdiener zu Gunsten der Schwachen stärker besteuert. Beliebig weit lasse sich das freilich nicht treiben. Leistung müsse sich lohnen und entsprechend honoriert werden, betonte der sächsische Ministerpräsident. Und auch dazu ist die Politik verpflichtet: Sie muss Anreize bieten, damit in der Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden, sie muss für die Unterstützung von Arbeitslosen sorgen.

Dass Marktwirtschaft und Christsein sich nicht einander ausschließen, klärte Biedenkopf in seinem Referat zweifelsfrei. Ebenso eindeutig fiel auch im Anschluss seine Antwort auf die Zuhörerfrage aus, ob die Marktwirtschaft in spezifischer Weise Christen brauche. "Sie braucht eine von der Bevölkerung getragene Wertordnung. Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass nur Christen Werte haben."

Markus Tichy

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.10.2000

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